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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb
Der Alevitische Religionsunterricht (ARU) übernimmt die zentrale Aufgabe, religiöse Bildung zu fördern. Es liegt eine Konzeption vor, die darauf abzielt, die Unterweisung der praktischen Tradierungen und der kognitiven Auseinandersetzung mit verantwortlichem Handeln zu fördern. Ferner fokussiert der Alevitische Religionsunterricht die religiöse Reflexion als eine klärende Analyse alevitischer Moral- und Wertevorstellungen in der Lebensführung.
Der Alevitische Religionsunterricht ist nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und Art. 18 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ein ordentliches Lehrfach. Der Unterricht wird im Einvernehmen mit der Alevitischen Gemeinde Deutschlands (AABF) ausschließlich durch alevitische Lehrkräfte erteilt, die religiöse Bildung als übergreifende fachliche Kompetenz vermitteln. Am Alevitischen Religionsunterricht können auch nicht-alevitische Schülerinnen und Schüler teilnehmen, wenn dies dem Wunsch der Erziehungsberechtigten beziehungsweise dem Wunsch der religionsmündigen Schülerinnen und Schüler ab dem 14. Lebensjahr entspricht. Dadurch ermöglicht er Verständigung und Austausch unserer pluralen Gesellschaft.
1.1 Bildungswert des Faches Alevitische Religionslehre
Der Alevitische Religionsunterricht leistet einen Beitrag zur Entwicklung einer alevitischen Identität und unterstützt anhand alevitischer Quellen, wie zum Beispiel der alevitischen Ethiklehre, eigenverantwortlich zu leben und zu handeln. Schülerinnen und Schülern wird Orientierung und Hilfestellung auf der Suche nach einer eigenen Lebensausrichtung gegeben.
Religiosität wahrnehmen und entwickeln
Der Alevitische Religionsunterricht holt Heranwachsende mit ihren Lebensfragen, Erwartungen, Ängsten, Sorgen und Hoffnungen ab und schafft Raum für religiöse Phänomene, Sinndeutungsfragen in einer pluralen Gesellschaft, so dass Schülerinnen und Schüler befähigt werden, zu reflektieren und Verantwortung zu nehmen.
Die religiöse Bildung unterstützt die Wahrnehmung und Entwicklung einer alevitischen Identität in einer multireligiösen Umwelt und ermöglicht Kindern und Jugendlichen, alevitische Überlieferungen und Tradierungen in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit zu gestalten.
Neben der kognitiven und methodischen Fähigkeit, historische Sachverhalte aus heiligen Texten und literarischen Werken zu analysieren und auszulegen, fördert der Alevitische Religionsunterricht die religiöse Gestaltungs- und Sprachfähigkeit und hilft, eine religiöse Stellungnahme schriftlich und mündlich zu vertreten und in interreligiösen Dialog zu treten.
Religiöse Bildung in der pluralen Gesellschaft
Der Konfessionsunterricht ermöglicht, gemeinsam die Frage nach Recht und Unrecht, Gut und Böse zu thematisieren. Er vertritt ein (Zusammen‑)Leben in freiheitlich-demokratischer Grundordnung und sozialer Verantwortung. Der Alevitische Religionsunterricht ermöglicht bezugnehmend zu alevitischen Wertvorstellungen und historischen Ereignissen verantwortungsvolles und solidarisches Handeln.
Er trägt dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler die Bedeutung des respektvollen Zusammenlebens in Gleichberechtigung, Frieden und Zuwendung erkennen und fördert so die Auseinandersetzung und den Dialog mit anderen tradierten Sinn- und Wertvorstellungen und befähigt sie, diese im Gespräch zu überprüfen und überprüfen zu lassen.
Beitrag des Faches Alevitische Religionslehre zu den Leitperspektiven
In welcher Weise das Fach Alevitische Religionslehre einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:
- Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Der Alevitische Religionsunterricht ermöglicht, sich an Merkmalen der Nachhaltigkeit im persönlichen Leben und im Leben mit anderen zu orientieren. Er thematisiert auch die Frage nach der Balance zwischen Ökologie, Ökonomie, Kultur, Tradition und Moderne und lässt die Schülerinnen und Schüler selbstreflektierend gestalten. Dabei wird das persönliche Lebenskonzept mit dem alevitischen Weg „Yol“ (4 Tore – 40-Stufen-Lehre) begutachtet und Folgen für das eigene Leben und das Leben in der Gemeinschaft geprüft. - Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
Im Alevitischen Religionsunterricht erfassen die Lernenden Toleranz („hoşgörü“) als eines der höchsten Gebote ihrer Konfession. Unabhängig der Herkunft und Religion, Weltanschauung und Lebensart werden alle Menschen als gleichwertig angesehen. Der Unterricht zielt insbesondere auf das Selbsterfahren ab, indem zum Beispiel Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig ihr Einvernehmen („Rızalık“) geben. - Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
Der Alevitische Religionsunterricht bestärkt die Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeit und unterstützt sie in der Vorbeugung vor Lebenskrisen. Er trägt zur gesunden Lebensführung, bestimmt durch Körper, Geist und Seele, bei. - Berufliche Orientierung (BO)
Der Alevitische Religionsunterricht stellt in verschiedenen Zusammenhängen die Frage nach einem erfüllten Leben. Dies thematisiert auch ihre Interessen, Fähigkeiten und Eignungen. Dabei werden sie angeregt, ihren eigenen Lebensweg zu hinterfragen, zu modellieren und zu gehen. - Medienbildung (MB)
Die Schülerinnen und Schüler werden für verborgene Risiken im Umgang mit verschiedenen Medien sensibilisiert. Sie machen sich mit deren sinnvollen Nutzung vertraut, indem sie Informationen beispielsweise über den Heiligen Ali recherchieren und die Quellen prüfen. Ferner erfahren sie den Verzicht auf soziale Medien als eine der Enthaltsamkeit im Rahmen des Fastens. - Verbraucherbildung (VB)
Die Schülerinnen und Schüler hinterfragen unter verschiedenen Fragestellungen ihre persönliche Lebensform und setzen sich dabei auch mit der Notwendigkeit eines selbstbestimmten und nachhaltigen Verbraucherverhaltens auseinander, beispielsweise das Kansız Kurban in Anlehnung an die alevitische Lehre als Bewahrung der Natur, Umwelt und Leben.
1.2 Kompetenzen
In Anlehnung an die beschriebenen Bildungsziele der Alevitischen Religionslehre bildet der kompetenzorientierte Religionsunterricht die Grundlage. Darin wird der ganzheitliche Ansatz des Faches mit seiner pädagogischen, didaktischen und theologischen Fülle wiedergegeben. Die Kompetenzorientierung richtet den Blick auf die Lernenden und beabsichtigt die Anwendung des Erfassten. Somit ist sie grundsätzlich schüler- und ergebnis- und prozessorientiert. Die prozessbezogenen Kompetenzen umfassen neben personalen und sozialen Kompetenzen, wie zum Beispiel Empathie‑, Kooperations‑, Reflexionsfähigkeit und interreligiöse/‑kulturelle Sensibilität, teilweise auch methodische Fertigkeiten, wie verschiedene Arbeitstechniken und Problemlösestrategien. Die inhaltsbezogenen Kompetenzen schließen die Fach- und Methodenkompetenz ein. Die prozessbezogenen Kompetenzen sind jahrgangsübergreifend und entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Sie sind mit den inhaltsbezogenen Kompetenzen eng verzahnt.
Die prozessbezogenen Kompetenzen im Fach Alevitische Religionslehre unterteilen sich in Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit, Analysier- und Deutungsfähigkeit, Dialogfähigkeit, Urteilsfähigkeit und Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit (siehe Kap. 2). Die inhaltsbezogenen Kompetenzen bestehen aus den folgenden sechs Dimensionen:
- Beziehung von Gott zu Mensch,
- Alevitische Glaubenslehre und ‑praxis,
- Verantwortliche Lebensgestaltung,
- Alevitische Feier- und Gedenktage,
- Geschichtliche Entwicklung des Alevitentums und
- Andere Religionen und Weltanschauungen (siehe Kap. 3).
Ferner strebt der Alevitische Religionsunterricht die Vermittlung folgender Kompetenzen an:
Die Schülerinnen und Schüler lernen, ihre individuellen Fragen und Befindlichkeiten in eigenen Formulierungen und Gebeten zum Ausdruck zu bringen. Sie setzen sich mit ihren Sinnfragen auseinander und reflektieren sie innerhalb ihres alevitischen Glaubens. Sie überprüfen ihr persönliches Lebenskonzept mit dem alevitischen Weg „Yol“ (4 Tore – 40-Stufen-Lehre) und überdenken Folgen für das eigene Leben und das Leben in der Gemeinschaft. Sie werden darin bestärkt, verantwortungsvoll als Aleviten zu handeln. Sie üben Ausdrucksformen des Glaubens, wie zum Beispiel Stille, Innehalten, Meditation und Gebet, ein.
Die Lernenden kennen religiöse Begriffe und legen fromme Bilder, Symbole, Handlungen und Riten aus. Sie kennen wichtige Texte, Gesänge und Weisheiten, die den alevitischen Glauben prägen. Sie sind mit ethischen Grundsätzen des Alevitentums, wie zum Beispiel Frieden, Toleranz, Nachhaltigkeit, Verantwortung für die Schöpfung, vertraut. Sie benennen die Weltreligionen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Sie erläutern historische und gegenwärtige Formen des Missbrauchs von Religion und verstehen die Entstehung religiöser, historischer und gesellschaftlicher Strukturen.
Die Schülerinnen und Schüler werden darin bestärkt, ihre Vita mit ihren Stärken und Grenzen anzuerkennen. Sie entwickeln fortlaufend Fähigkeiten wie Empathie‑, Dialog‑, Reflexionsfähigkeit, Selbstwertschätzung und Vertrauen in das eigene Leben.
Die Lernenden bauen Vorurteile gegenüber Fremden ab. Sie gehen mit dem Gegenüber einfühlsam und achtsam um. Sie versetzen sich in andere hinein, zeigen Mitgefühl und übernehmen Verantwortung für sich und andere. Sie schulen ihre interkulturelle und interreligiöse Sensibilität.
Die Schülerinnen und Schüler erwerben die Fähigkeit, unterschiedliche Arbeitstechniken, wie zum Beispiel die Informationsbeschaffung und ‑verarbeitung, den verantwortungsbewussten Umgang mit Medien, die Nutzung geeigneter Präsentationstechniken sowie die Gestaltung von Dokumentationen, zu beherrschen. Dies wird unterstützt durch die Bereitstellung der erforderlichen Medien und auch durch das Ermöglichen von außerschulischen Lernorten. Sie legen heilige Texte und Bekenntnisformeln der alevitischen Tradition und religiöse Ereignisse der Vergangenheit mit den erlernten Methoden aus und transferieren diese auf gegenwärtige Lebensfragen.
Zur Darstellung der wechselseitigen Beziehung zwischen inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen wird in den inhaltsbezogenen Teilkompetenzen auf prozessbezogene Teilkompetenzen verwiesen (P). Ebenso weist der Bildungsplan auf die allgemeinen Leitperspektiven (L) hin. Dabei werden sie insbesondere in den Formulierungen der inhaltsbezogenen Kompetenzen ausgewiesen.
1.3 Didaktische Hinweise
Der Alevitische Religionsunterricht ist primär schülerorientiert zu gestalten, denn die Schülerinnen und Schüler stehen im Zentrum, um ihre Fragen zu entdecken und nach Antwortmöglichkeiten zu suchen. Der Unterricht lässt prozessorientiertes Lernen zu und ist identitätsbegleitend. Daher ist das Lehr- und Lernarrangement so zu gestalten, dass Kinder und Jugendliche ausreichend Raum für eine dialogisch-kreative Auseinandersetzung mit den Inhalten erhalten. Das didaktische Prinzip soll nachhaltig sein und erfordert sinnvollerweise die aktive Mitgestaltung des Lernprozesses durch die Lernenden. Ferner gewährt der Alevitische Religionsunterricht den Schülerinnen und Schüler regelmäßig projektartig zu arbeiten. Eine Kooperation mit anderen Fächern ist wünschenswert, welche den interreligiösen Dialog mit einschließt.
Der Ansatz für das Lehren und Lernen im Alevitischen Religionsunterricht ist das Gestalten eines Lehr- und Lernarrangements, in dem die Vernetzung der verschiedenen Erfahrungsräume, wie die Erfahrungen des Kindes und Jugendlichen in seiner Beziehung zu sich selbst, zu anderen Menschen, zur Schöpfung und zu Gott zum Ausdruck kommen.
Der Alevitische Religionsunterricht greift Fragen nach menschlichem Dasein auf und stellt Fragen entdeckende und wahrnehmende Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt. Es wird ihnen ermöglicht, ihre eigene Frömmigkeit zu finden und zu definieren. Das Lehr-Lernarrangement hat zu initiieren, dass die Schülerinnen und Schüler zum Subjekt werden und sich selbst bestimmen.
Die geeignete Wahl des pädagogisch-methodischen Konzepts soll arrangieren, dass die Schülerinnen und Schüler das begründete und folgerichtige Argumentieren einüben können. Insbesondere sollen schüleraktive Methoden wie zum Beispiel das Rollenspiel, die Podiumsdiskussion oder das szenische Spiel die kognitive und emotionale Auseinandersetzung mit religiösen und moralischen Themen und Tradierungen verstärken.
Die Schülerinnen und Schüler müssen in der Lage sein, alevitische Symbole, symbolische Handlungen und Bilder reflexiv zu erschließen. Eine schüleraktive Unterrichtsgestaltung, wie zum Beispiel das Backen und Verteilen des „Lokma“ (das gesegnete Mahl), das Inszenieren der Zwölf Dienste des Cem, die Gestaltung eines zwölfeckigen Rundbaus für ein Cem-Haus, die Thematisierung der Gazelle und des Löwen des heiligen Hünkar Bektaş Veli, dient der differenzierenden Wahrnehmung des Symbolcharakters und ihres Gehalts, ihres Gebrauchs wie auch ihrer „Botschaft“ und ferner die adäquate Einbettung in ihre persönliche Lebenswelt.