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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb
1.1 Bildungswert des Faches Orthodoxe Religionslehre
Der orthodoxe Religionsunterricht versteht sich als Teil des allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule. Zudem leistet er einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag zur religiösen Bildung. Der orthodoxe Religionsunterricht begleitet Schülerinnen und Schüler bei ihrer Suche nach Orientierung und bei der Frage nach dem Sinn der Welt und des eigenen Lebens. Er strebt an, auf der Basis des orthodoxen Glaubens, tragfähige Antworten zu finden.
Folgende Prinzipien haben im orthodoxen Christentum fundamentale Bedeutung:
- Die Vergöttlichung (Theosis, ϑέωσις) wird als Bestimmung des Menschen aufgefasst. „Durch die Vereinigung mit Christus erhofft man sich eine wirkliche künftige Teilhabe an Gottes Herrlichkeit. […] Es geht darum, durch kontinuierliches spirituelles Heranwachsen, am Ende an Gottes Güte, Schönheit, Weisheit und Macht (d.h. an seiner Herrlichkeit) Anteil zu erhalten, nicht aber am Wesen oder der Natur Gottes. Die Vergöttlichung erschließt entscheidende Sichtweisen auf Gott, Mensch und Welt. Sie hinterlässt vielfältige Spuren und Zeichen des Heiligen und Göttlichen in der Welt, und ermöglicht Erfahrungen im Leben der Menschen.
- Die Oikonomia stellt das Prinzip der Freiheit und der Menschenliebe dar und gilt als Schlüsselbegriff des orthodoxen Menschenbildes.
- Die Askese wird als Lebensprinzip und ‑stil im Hinblick auf die Herausforderungen und Chancen unserer Gesellschaft verstanden.
- Die Metanoia wird als Weg zur Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott erfahren.
Aus orthodoxer Sicht schließen sich Glaube und Erkenntnis gegenseitig nicht aus, sondern sie brauchen und ergänzen einander. In aller Unzulänglichkeit ist der Mensch zur Erkenntnis Gottes berufen und fähig, doch kann er Gott nicht ausschließlich rational begreifen. Es bleibt immer ein Moment des Unverfügbaren, welches insbesondere als Begegnung erfahren werden kann. Insofern ist der Glaube im orthodoxen Religionsunterricht nicht lehrbar, sondern er ist Geschenk Gottes und freie Entscheidung des Menschen.
Orthodoxer Religionsunterricht bietet den Schülerinnen und Schülern Raum, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten durch selbstständig gemachte Erfahrungen mit gelebtem Glauben zu vervollständigen sowie eigene religiöse Erfahrungen zu reflektieren. Zu seinen Aufgaben gehört, eine bewusstere Teilhabe am Leben der Orthodoxen Kirche zu ermöglichen. Durch Vermittlung der Grundkenntnisse über die Fundamente des christlichen Lebens und Glaubens sowie durch eine schrittweise Einführung in das sakramentale Leben der Kirche, trägt er zur Stärkung der eigenen religiösen Identität bei. Der orthodoxe Religionsunterricht unterstützt Schülerinnen und Schüler dabei, für sich die orthodoxe Spiritualität zu erschließen. Er begreift sich als Bereicherung auch für jene, die am Leben der Orthodoxen Kirche nicht teilnehmen und leistet darüber hinaus einen Beitrag zum besseren Verständnis der christlichen Wurzeln europäischer Kultur.
Gerade in der Diasporasituation der Orthodoxen Kirche in Deutschland ist es wichtig, dass Tradierungsprozesse unter der Berücksichtigung der hiesigen Lebenskontexte der Schülerinnen und Schüler gestaltet werden. Der orthodoxe Religionsunterricht ermöglicht das Kennenlernen eigener Glaubenstradition in einer kontextbezogenen, kritischen und dialogfähigen Weise.
Darüber hinaus werden Schülerinnen und Schüler im orthodoxen Religionsunterricht in Grundzügen mit anderen christlichen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen vertraut. Dabei ist der orthodoxe Religionsunterricht für die Kooperation mit dem Religionsunterricht anderer Konfessionen und Religionen offen. Verschiedene Formen des interkonfessionellen und interreligiösen Lernens können als Chance für die Förderung von Dialogbereitschaft, für gegenseitiges Verstehen und Toleranz, sachgemäße Würdigung der Unterschiede und Entdeckung der Gemeinsamkeiten gesehen werden. Der orthodoxe Religionsunterricht strebt an, Schülerinnen und Schüler in ihrer eigenen religiösen Identität zu stärken und sie auch zu einem reflektierten Umgang mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität anzuleiten. Besondere Berücksichtigung findet im orthodoxen Religionsunterricht der Diasporakontext der orthodoxen Bistümer in Deutschland. Die Spannung zwischen der Einheit im Glauben sowie der vollen Kirchengemeinschaft einerseits und zugleich der multinationalen Zusammensetzung und kulturellen Vielfalt der einzelnen Kirchen andererseits, kann bereichernde Lernprozesse in Gang setzen.
Der orthodoxe Religionsunterricht strebt an, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung ganzheitlich zu fördern. Schulische Bildung dient nicht nur der Weitergabe von Wissen und Förderung der zu überprüfenden Kompetenzen. Orthodoxer Religionsunterricht unterstützt zudem Kinder und Jugendliche dabei, die Bedeutsamkeit der christlichen Werte sowohl für das persönliche Leben als auch für ein Gelingen des friedlichen Zusammenlebens in der pluralen Gesellschaft zu erschließen. Ein wichtiges Anliegen des orthodoxen Religionsunterrichts besteht darin, den Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen, inwiefern eine Beziehung zu Gott, den Mitmenschen und der gesamten Schöpfung die Basis für Frieden und Gerechtigkeit darstellt. Orthodoxer Religionsunterricht sieht seinen Auftrag darin, Schülerinnen und Schüler zu aufmerksamem Wahrnehmen, zu kritischem Denken und Urteilen anzuleiten sowie zu aktivem Handeln auf Grundlage des christlichen Selbstverständnisses zu ermutigen, immer im Bewusstsein, dass persönliche Haltungen im Rahmen schulischer Leistungsmessung nicht evaluierbar sind.
Über das eigentliche unterrichtliche Anliegen hinaus wirkt der orthodoxe Religionsunterricht dabei mit, Schule als Lebens- und Erfahrungsraum für alle zu gestalten. Dazu trägt er insbesondere durch die Mitgestaltung von Festen und Gottesdiensten bei.
Der kirchliche Bezug des orthodoxen Religionsunterrichts
Der orthodoxe Religionsunterricht ist theologisch im gemeinsamen Glauben der ganzen Orthodoxen Kirche unter Berücksichtigung der kulturellen Besonderheiten der einzelnen Ortskirchen verankert. Durch die Einheit im Glauben und in der gemeinsamen liturgischen Tradition und Kirchenordnung sind die sich selbstständig verwaltenden orthodoxen Ortskirchen eine Einheit: die eine heilige, katholische und apostolische Kirche.
Orthodoxe Religionslehre bezeichnet einen Unterricht, an dem Schülerinnen und Schüler teilnehmen, die zu einem der Bistümer gehören, die gemeinsam die Orthodoxe Kirche in Deutschland bilden und zur Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland zusammengeschlossen sind. Dabei handelt es sich um folgende Diözesen:
- Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland / das Exarchat von Zentraleuropa
- Exarchat der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa
- Ukrainische Orthodoxe Eparchie von Westeuropa
- Metropolie der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien für West- und Mitteleuropa (rum-orthodox)
- Berliner Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats
- Russische Orthodoxe Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland (Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland)
- Serbische-Orthodoxe Diözese von Frankfurt und ganz Deutschland
- Rumänische Orthodoxe Metropolie für Deutschland, Zentral- und Nordeuropa
- Bulgarische Diözese von West- und Mitteleuropa
- Diözese für Deutschland und Österreich der Georgischen Orthodoxen Kirche
Rechtliche Grundlagen des Orthodoxen Religionsunterrichts
Der orthodoxe Religionsunterricht ist nach Art. 7, Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und nach Art. 18 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach, für das Staat und Kirche gemeinsam Verantwortung tragen. Er wird gemäß dem Schulgesetz in Übereinstimmung mit den Lehren und Grundsätzen der Orthodoxen Kirche erteilt (§ 96, Abs. 2 SchG).
Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven
In welcher Weise das Fach Orthodoxe Religionslehre einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:
- Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Im orthodoxen Religionsunterricht lernen die Schülerinnen und Schüler die Eine Welt in biblischer Perspektive als Gottes Schöpfung zu deuten, die dem Menschen anvertraut ist und für die er verantwortlich ist. Dies schließt – insbesondere unter dem Aspekt der Gerechtigkeit – eine Sensibilität für nachhaltiges Wirtschaften und gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen ein. Orthodoxer Religionsunterricht will dazu beitragen, dass die Natur als Gottes gute Schöpfung und Quelle des Lebens für die Menschen gehütet und bewahrt bleibt. - Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
Orthodoxer Religionsunterricht macht bewusst, dass jedem Menschen nach christlicher Deutung seine unantastbare Würde von Gott gegeben ist. Dies fordert die Wertschätzung eines jeden Menschen, unabhängig von seiner Herkunft und Lebensform, Weltanschauung und Religion. Die Einheit in Vielfalt gehört zum Wesen der Orthodoxen Kirche und wird besonders in der Diaspora als Bereicherung und Herausforderung erfahren. Diese Erfahrung bildet eine tragfähige Basis zur Förderung der Pluralitätsfähigkeit im Religionsunterricht. - Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
Die Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeit zu stärken ist ein zentrales Anliegen des orthodoxen Religionsunterrichts. Heil und Heilung als Schlüsselaspekte des orthodoxen Menschenbildes – sowie das Verständnis des Lebens als Geschenk Gottes – begründen die lebensbejahende Einstellung des orthodoxen Christentums. Deshalb unterstützt der orthodoxe Religionsunterricht die Schülerinnen und Schüler in ihrer Sensibilität für die körperliche, seelische und geistige Gesundheit. Er ermutigt sie zu einer gesundheitsfördernden Lebensweise. - Berufliche Orientierung (BO)
Der orthodoxe Religionsunterricht bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Begabungen zu entdecken, zu reflektieren und zu erweitern. Durch seine sinnstiftende Dimension dehnt er den Horizont für die Gestaltung des eigenen Lebensweges aus. Die Schülerinnen und Schüler erwerben interreligiöse und interkulturelle Kompetenzen, die Grundlagen für eine spätere berufliche Qualifikation und die Übernahme sozialer Verantwortung bilden. In dieser Weise unterstützt und ermutigt der orthodoxe Religionsunterricht Jugendliche, sich im Rahmen der gesellschaftlich gegebenen Möglichkeiten beruflich zu orientieren. - Medienbildung (MB)
Analoge und digitale Medien spielen in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle. Der orthodoxe Religionsunterricht bedient sich moderner Medien. Er zeigt die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren der Mediennutzung auf und trägt so zu einem verantwortungsvollen Umgang mit ihnen bei. Ein wichtiges Anliegen des orthodoxen Religionsunterrichts ist es, durch Vermittlung ethischer Orientierung, zur Vorbeugung des Medienmissbrauchs beizutragen. - Verbraucherbildung (VB)
Orthodoxer Religionsunterricht thematisiert einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen in der Einen Welt. Den Schülerinnen und Schülern wird der globale Horizont ihres Verhaltens als Konsumenten eröffnet. Orthodoxer Religionsunterricht will die Fähigkeit und Bereitschaft ermöglichen, Ungerechtigkeit und Zügellosigkeit im Umgang mit Mensch und Natur zu erkennen, um diese zu überwinden. Die Schülerinnen und Schüler sollen dabei unterstützt werden, einen verantwortungsbewussten Lebensstil zu entwickeln.
1.2 Kompetenzen
Vor dem Hintergrund der hier beschriebenen Bildungsziele im Fach Orthodoxe Religionslehre legt der kirchlich genehmigte Bildungsplan 2016 den Rahmen für die Organisation, Planung und Durchführung eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts fest. Unter einem kompetenzorientierten Religionsunterricht wird ein Unterricht verstanden, der Können und Wissen, Inhalte und Fähigkeiten grundsätzlich miteinander verschränkt und aufeinander bezieht. Dementsprechend weist der Bildungsplan prozessbezogene und inhaltsbezogene Kompetenzen aus, die nur in ihrem wechselseitigen Zusammenhang miteinander zu verstehen sind.
Prozessbezogene Kompetenzen
Der orthodoxe Religionsunterricht fördert den Erwerb und die Vertiefung religiöser Bildung. Er zielt grundsätzlich auf überprüfbare Kompetenzen. Glaube, Einstellungen und Haltungen der Schülerinnen und Schüler entziehen sich jedoch jeder Überprüfbarkeit. Die Kompetenzen religiöser Bildung beinhalten die Fähigkeit, die Vielgestaltigkeit von Wirklichkeit wahrzunehmen und theologisch zu reflektieren, christliche Deutungen mit anderen zu vergleichen, die Wahrheitsfrage zu stellen und eine eigene Position zu vertreten.
Prozessbezogene Kompetenzen sind personale und soziale, kommunikative und reflexive sowie ästhetische und methodische Fähigkeiten, die sich die Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit religiösen Phänomenen im Laufe ihres Schullebens aneignen. Sie beziehen sich unter anderem auf die Bildung der Persönlichkeit und den Umgang mit anderen, auf Verfahren der Gewinnung, Vernetzung und Sicherung von Wissen, auf Strategien zur eigenen Planung, Gestaltung und Reflexion von Lernprozessen, auf gestalterischen Ausdruck sowie die Anwendung erworbenen Wissens und Könnens in Kommunikations- und Handlungssituationen. Prozessbezogene Kompetenzen gelten über alle Schuljahrgänge hinweg. Sie sind bewusst nicht nach Jahrgangsstufen unterschieden, sondern den inhaltsbezogenen Kompetenzen aller Klassen als Zielvorgabe vorangestellt.
Die sieben prozessbezogenen Kompetenzen sind:
- Wahrnehmen
Die Persönlichkeitsentwicklung und weltanschauliche Verortung des Menschen hängen wesentlich von seiner Wahrnehmung ab beziehungsweise davon, wie der Mensch sich selbst und seine Umwelt erlebt. Der Wahrnehmende ist ein Erkennender, hat eine Beziehung zu sich selber und nimmt Beziehung zu seiner Außenwelt auf, indem er Informationen und Inhalte aufnimmt und möglichst zu einem „Gesamtbild“ zusammenfügt. Die Wahrnehmungsfähigkeit gehört zu den grundlegenden prozessbezogenen Kompetenzen schulischen Lernens überhaupt. Jede Deutung, Darstellung, Kommunikation und Handlung hängt von der Wahrnehmung des Einzelnen ab, die wiederum geprägt ist von seinem sozialen Umfeld. Aus diesem Grund gehört es zur elementaren Aufgabe des orthodoxen Religionsunterrichts, die Wahrnehmungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler als eigenständige Kompetenzgröße in den Blick zu nehmen und zu erweitern, obgleich sie sich nur eingeschränkt überprüfen lässt. - Deuten
Die Schülerinnen und Schüler haben zu vielen Aussagen, Positionen und Überzeugungen eine kulturelle und geschichtliche Distanz und nehmen diese daher als fremd wahr. Diese Aussagen, Positionen und Überzeugungen sollen aber nicht in einer Fremdheit verbleiben, sondern von den Schülerinnen und Schülern mit ihrem Vorwissen, ihren Erfahrungen und Einstellungen verknüpft werden. Dabei soll die charakteristische Eigenart des Fremden erhalten bleiben, jetzt aber in den eigenen Denkhorizont aufgenommen und mit dessen Möglichkeiten ausgedrückt werden. Das bedeutet immer auch eine Erweiterung dieses Horizonts. In ähnlicher Weise – wie für fremde Texte – soll die Deutungsfähigkeit für künstlerische Ausdrucksformen entwickelt werden. Hier kann angeknüpft werden an Fähigkeiten, die in den Fächern Deutsch, Bildende Kunst und Musik vermittelt werden. - Darstellen
Was die Schülerinnen und Schüler verstanden und mit ihrer eigenen Denkfähigkeit nachvollzogen haben, können sie so beschreiben und darstellen, dass es von anderen klar und eindeutig nachvollziehbar ist. Die Schülerinnen und Schüler können ihre Äußerungen in schriftlicher und mündlicher Form aufbauen und einleuchtend formulieren. - Urteilen
Die Arbeit an und mit den Texten wie denen der Heiligen Schrift, der Liturgie und der Kirchenväter, aber auch mit anderen Glaubenszeugnissen wie der Kirchenarchitektur, Musik und Ikone, trägt dazu bei, die eigene Urteilsfähigkeit auszubilden, zu schärfen und zu üben. Die Fähigkeit, einen eigenen Standpunkt in unserer pluralen Gesellschaft auszubilden und zu vertreten, wird gefördert. - Dialog führen
Die Schülerinnen und Schüler begegnen in ihrem Alltag einer Vielfalt, die religiöse und weltanschauliche Pluralität einschließt. Die eigene Identität bildet sich unter anderem in der Auseinandersetzung mit dieser Pluralität aus. Die Schülerinnen und Schüler können anderen religiösen und weltanschaulichen Erfahrungen in Toleranz und Respekt sowie Offenheit begegnen. Sie können die eigene Position verständlich, argumentativ und diskursbezogen vertreten. Sie sind in der Lage, sich mit religiösen und weltanschaulichen Erfahrungen sowie ethischen Einstellungen der anderen auseinanderzusetzen und zusammen nach gemeinsamen Lösungsstrategien zu suchen beziehungsweise gemeinsam zu handeln. - Handeln
Unter Handlungsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, den Menschen mit all seinen Stärken und trotz seiner Schwächen als Ikone Gottes wahrzunehmen und von diesem Standpunkt aus den Willen zu entwickeln, Menschen zu helfen, zu unterstützen und sich intensiv für die Schwachen in unserer Gesellschaft, aber auch auf der internationalen Ebene einzusetzen. Sie werden dazu ermutigt, am Leben der Kirche aktiv teilzunehmen, um dieses zu bereichern und mitzugestalten.
Darüber hinaus verstehen sie die Natur als Schöpfung Gottes und aus dieser Perspektive handeln sie mit besonderer Verantwortung, um diese zu bewahren. Sie erkennen die Wichtigkeit der nachhaltigen Entwicklung und der Friedensstiftung und können selbstbewusst auftreten, um diese zu fördern.
Die Schülerinnen und Schüler werden ermutigt, das eigene Leben und ihre Umwelt friedvoll und gerecht zu gestalten. - Religiöse Sprache für sich erschließen und verwenden
Die Sprache der Religion ist ein vieldimensionales Phänomen. Religiöse Sprache zeigt sich auf der rein sprachlichen Ebene in Metaphern, in mythischer und prophetischer Rede, in Bekenntnissen, Gebeten, Hymnen, fachlichen Terminologien und in der Gottesdienstsprache. Eine Besonderheit der religiösen Sprache liegt darin, dass sie nicht allein auf diese Ebene reduziert werden kann. Die Rede von Gott findet ihren Ausdruck in der Orthodoxie auch in anderen Dimensionen. Auf der visuellen Ebene sind es vor allem die Ikonen, aber auch die Gestik, die Körpersprache sowie die Raumgestaltung und Architektur der Kirchen. Auditiv geht es um die Musik in den unterschiedlichen orthodoxen Kirchen. Die Sprache der Religion wird auf allen Ebenen wahrgenommen, gedeutet und kommuniziert. Über die Entwicklung der religiösen Sprachfähigkeit im Rahmen der eigenen orthodoxen Tradition hinaus werden die Schülerinnen und Schüler für die Wahrnehmung und Deutung der religiösen Sprache anderer Konfessionen und Religionen sensibilisiert. Da die meisten orthodoxen Kinder in mehreren und unterschiedlichen (kirchlich‑)sprachlichen Kontexten aufwachsen, kommt dem Deutschen eine besondere Bedeutung als Kommunikationsmedium zu. Sie lernen religiöse Begriffe und Inhalte auf Deutsch kennen, die sie womöglich aus ihrem familiären und kirchlichen Kontext in einer anderen Sprache mitbringen, und stellen Verknüpfungen zwischen ihnen her.
Inhaltsbezogene Kompetenzen
Die Standards inhaltsbezogener Kompetenzen gliedern sich in allen Standard- beziehungsweise Klassenstufen in sechs Bereiche. Zusammen mit den prozessbezogenen bilden die inhaltsbezogenen Kompetenzen die Grundlage für die Planung von Unterricht. Die sechs inhaltsbezogenen Bereiche bezeichnen keine thematischen Unterrichtseinheiten und bilden keine Unterrichtssequenzen ab. Sie sind inhaltlich vernetzt und können auch themenfeldübergreifend behandelt werden. Dies wird durch die inhaltsbezogenen Verweise (I) verdeutlicht. Auf Anschlussmöglichkeiten zu anderen Fächern verweist das Symbol (F).
Die sechs Bereiche lauten:
- Gott – Mensch – Welt
- Die Heilige Schrift
- Das liturgische Leben der Kirche
- Geschichte und Gegenwart der Orthodoxen Kirche
- Verantwortliches Handeln
- Konfessionen, Religionen, Weltanschauungen
Das Thema der Menschwerdung des Logos in der Person Jesu Christi durchzieht alle sechs Themenfelder. Deswegen ist es nicht als eigenes Feld benannt.
Die bei der Formulierung der Kompetenzen verwendeten Operatoren sind als Liste beigefügt. Sie sind als handlungsleitende Verben zu verstehen und signalisieren, welche Tätigkeiten beim Erwerb der Kompetenzen erwartet werden.
1.3 Didaktische Hinweise
Der orthodoxe Religionsunterricht ist mehr als das, was standardisierbar ist.
Orthodoxer Religionsunterricht am Gymnasium ermöglicht den Schülerinnen und Schülern eine Auseinandersetzung sowohl mit der eigenen Konfession als auch mit anderen religiösen Traditionen in existenzieller und reflektierender Weise. Der orthodoxe Religionsunterricht hat die Aufgabe, den Schülerinnen und Schülern zu sinnvollen Erfahrungen mit Inhalten und Traditionen ihres Glaubens zu verhelfen und ihnen eine auf Mitgestaltung ausgerichtete Teilnahme am politischen, kulturellen und religiösen Leben der demokratischen Gesellschaft in Deutschland zu ermöglichen. Er trägt zur Erschließung gegenwärtiger religiöser und gesellschaftlicher Phänomene bei sowie zum Verständnis ihrer geschichtlichen Herkunft und zur Entwicklung von Perspektiven für ihre Zukunft. Daraus ergibt sich die Konsequenz, nach einem solchen Zugang zu Inhalten des orthodoxen Glaubens zu suchen, welcher der gegenwärtigen Situation angemessen ist und die Schülerinnen und Schüler in ihrer konkreten Lebenswelt in dieser Gesellschaft erreicht.
Kennzeichnend für den Religionsunterricht ist die hermeneutische Auseinandersetzung mit religiösen und nicht-religiösen Sichtweisen sowie mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen. Die diskursive Auseinandersetzung im Religionsunterricht schärft die Kompetenz zu Wahrnehmung und Empathie sowie zur Argumentation und selbstständigen Urteilsbildung in einer zunehmend pluralen Gesellschaft.
Der kritisch-konstruktive Dialog der Theologie mit anderen Wissenschaften und Disziplinen ist für den Religionsunterricht ein notwendiges Element. Diese Auseinandersetzung eröffnet dem Fach eine interdisziplinäre Ausrichtung. Orthodoxe Religionslehre ist in Bezug auf Ziele, Gegenstand und Methoden vielfältig mit anderen Fächern verknüpft, in besonderer Weise im Bereich der Sinn‑, Wert- und Wahrheitsfragen.
Das Selbstverständnis des orthodoxen Religionsunterrichtes hat auch Auswirkungen auf seine Gestaltung. Er fördert das Verständnis des einen orthodoxen Glaubens in seiner Vielfalt und konkretisiert ihn unter den besonderen Gegebenheiten in Deutschland. Bildung ist ein ganzheitlicher Vorgang, der die Sinne und die geistig-seelischen Fähigkeiten umfasst. Daraus ergibt sich, dass im orthodoxen Religionsunterricht neben kognitiv-analytischer Arbeit auch meditative oder symbolisch-erschließende Elemente bedeutsam sind, ebenso handlungsorientierte Arbeitsformen. Aufgrund der wesenhaften Bezogenheit von Gott und Mensch ist die wechselseitige Beziehung von Gotteslehre und Menschenbild, von göttlicher Offenbarung und menschlicher Erfahrung grundlegend. Arbeit an außerschulischen Lernorten und außerschulische Angebote können den Unterricht sinnvoll ergänzen.
Lernorten und außerschulische Angebote können den Unterricht sinnvoll ergänzen.