Anlage 1 PflAPrV
Beruflich Pflegende werden häufig in allen beruflichen Settings und ebenfalls im Alltag mit Akutsituationen konfrontiert, in denen eine rasche und zuverlässige Situationseinschätzung sowie zügige Entscheidungen über unmittelbar einzuleitende Sofortmaßnahmen erforderlich werden. Es werden Hilfesituationen fokussiert,
- in denen zu pflegende Menschen aufgrund physischer Ereignisse akut vital gefährdet sind oder andere gefährden,
- in denen zu pflegende Menschen und/oder andere Personen in Einrichtungen akuten Gefährdungen und/oder Bedrohungen aus der Umwelt ausgesetzt sind,
- in denen beruflich Pflegende außerhalb von Institutionen und außerhalb ihres beruflichen Handlungsfeldes aufgrund ihrer besonderen rechtlichen Verantwortung in Not- und Katastrophenfällen zur Hilfeleistung verpflichtet sind.
In bedrohlichen Situationen sind beruflich Pflegende auch herausgefordert,
- die eigene Fassung und Handlungsfähigkeit zu bewahren,
- belastende Ereignisse im Nachhinein zu verarbeiten,
- emotionale Unterstützung und Stabilisierung für die hilfebedürftigen Menschen und ihre Bezugspersonen zu geben.
Die zentralen Kompetenzen, die zur Bewältigung akuter Hilfesituationen erforderlich sind, sind Gegenstand in den ersten beiden Ausbildungsdritteln und werden im letzten Ausbildungsdrittel erneut aufgegriffen und ggf. um komplexere Notfallsituationen oder gesellschaftliche Gefährdungen und Bedrohungen ergänzt.
1./2. Ausbildungsdrittel
- Die Auszubildenden machen sich bewusst, dass Notfallsituationen und Interventionen mit Folgen für das Leben von Betroffenen verbunden sein können, die dem (mutmaßlichen) oder in Patientenverfügungen verankerten Willen widersprechen können.
- Sie reflektieren die Bedeutung von Unsicherheit und Risiko für das persönliche und gemeinschaftliche Leben unter den Bedingungen des globalen gesellschaftlichen Wandels.
Die Auszubildenden
- schätzen häufig vorkommende Pflegeanlässe und Pflegebedarf in unterschiedlichen Lebens- und Entwicklungsphasen in akuten und dauerhaften Pflegesituationen ein (I.1.d).
- treffen in lebensbedrohlichen Situationen erforderliche Interventionsentscheidungen und leiten lebenserhaltende Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes ein (I.4.a).
- koordinieren den Einsatz der Ersthelferinnen und Ersthelfer bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes (I.4.b).
- erkennen Notfallsituationen in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen und handeln nach den Vorgaben des Notfallplanes und der Notfall-Evakuierung (I.4.c).
- wahren das Selbstbestimmungsrecht des zu pflegenden Menschen, insbesondere auch, wenn dieser in seiner Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt ist (I.6.a).
- bauen kurz- und langfristige Beziehungen mit Menschen unterschiedlicher Altersphasen und ihren Bezugspersonen auf und beachten dabei die Grundprinzipien von Empathie, Wertschätzung, Achtsamkeit und Kongruenz (II.1.b).
- nutzen in ihrer Kommunikation neben verbalen auch nonverbale, paralinguistische und leibliche Interaktionsformen und berücksichtigen die Relation von Nähe und Distanz in ihrer Beziehungsgestaltung (II.1.c).
- erkennen ethische Konflikt- und Dilemmasituationen, ermitteln Handlungsalternativen und suchen Argumente zur Entscheidungsfindung (II.3.c).
- wirken entsprechend den rechtlichen Bestimmungen an der Durchführung ärztlich veranlasster Maßnahmen der medizinischen Diagnostik und Therapie im Rahmen des erarbeiteten Kenntnisstandes mit (III.2. b).
- nehmen drohende Über- oder Unterforderungen frühzeitig wahr, erkennen die notwendigen Veränderungen am Arbeitsplatz und/oder des eigenen Kompetenzprofils und leiten daraus entsprechende Handlungsinitiativen ab (V.2.b).
- gehen selbstfürsorglich mit sich um und tragen zur eigenen Gesunderhaltung bei, nehmen Unterstützungsangebote wahr oder fordern diese am jeweiligen Lernort ein (V.2.c).
Handlungsanlässe
1./2. Ausbildungsdrittel
- Notfall, u. a. Herz-Kreislauf-Versagen, Herzinfarkt, Lungenembolie, Schlaganfall, akute Atemnot, Vergiftung
- Schock, u. a. nach Unfall, Blutverlust, Anaphylaxie, psychischer Schock infolge akuter Traumatisierung, cholinerges Syndrom, thermische Verletzungen, Verbrühung
- Selbst- und Fremdgefährdung, angedrohter oder erfolgter Suizidversuch
- Unfälle, u. a. offene Frakturen, Blutungen, Kopfverletzungen, Aspiration, akute Atemnot durch verlegte Atemwege
- Traumatisierung: u. a. Betroffene, Beteiligte, Unbeteiligte
- Einrichtungsbrand: u. a. Brandschutzunterweisung, Brandschutzmaßnahmen, Evakuierung
- RL/REK: Werte und Normen in ethischen Konflikten und Dilemmata in Notfallsituationen; religiöse Bewältigungshilfen und -angebote in Notfallsituationen
Kontextbedingungen
1./2. und 3. Ausbildungsdrittel
- ambulant-häuslicher Kontext, akutstationäre und langzeitstationäre Einrichtungen, nicht beruflicher Alltag
- digitale Notrufsysteme
- digitale Frühwarnsysteme
- standardisierte Abläufe der Patientenversorgung in der Notaufnahme
- Gefährdungen der eigenen Institution
- Förderung der Reanimation durch Laien, Defibrillatoren an öffentlichen Orten
- aktuelle Gesetze, u. a. Katastrophenschutzgesetze der jeweiligen Bundesländer; z. B. unterlassene Hilfeleistung, besonderer Schutz des Ersthelfers
- rechtliche Rahmenbedingungen, z. B. Patientenverfügung, Notfalleinwilligung, Manchester-Triage bei Massenanfall von Verletzten, unterlassene Hilfeleistung;
-
Vorschriften zur Sicherstellung der Notfallversorgung, z. B. Prüfkatalog des MDK oder Vorgaben der BG
Ausgewählte Akteure
1./2. Ausbildungsdrittel
- Menschen aller Altersstufen in Notfallsituationen
- Ersthelfer (Laien)
- Bezugspersonen
- professionelles Team, z. B. Rettungsdienst und Feuerwehr, Katastrophenschutz und Polizei, Ärztinnen und Ärzte, einrichtungsspezifische Notfallteams, Krisenteams
Erleben/Deuten/Verarbeiten
1./2. Ausbildungsdrittel
Auszubildende
- eigene Fassungslosigkeit
- Macht- und Hilflosigkeit
- Erleben eigener Handlungsunfähigkeit
- Aushalten von Stress/Zeitdruck
- Erkennen von Frühzeichen der Eskalation
- Emotionsarbeit in und nach der Notfallsituation
- RL/REK: Werte und Normen in ethischen Konflikten und Dilemmata in Notfallsituationen; religiöse Bewältigungshilfen und -angebote in Notfallsituationen
Zu pflegende Menschen/betroffene Menschen
- vitale Ängste und ihre Ausdrucksformen
- Verarbeitungsstrategien und Unterstützungsangebote für den Umgang mit vital bedrohlichen Situationen
Handlungsmuster
1./2. Ausbildungsdrittel
- eigenes „Funktionieren“ in Krisen- und Katastrophensituationen (professionelle Distanz)
- Ruhe und Sicherheit durch routiniertes Handeln und handlungsbegleitende Information vermitteln
- Kommando-Kommunikation innerhalb von Notfallsituationen, z. B. Notruf – 5W‘s
- Kommunikationssysteme und -techniken in Krisen- und Katastrophensituationen z. B. Monitoring, Behandlungspfade
- Triage
- Eingriffe und Maßnahmen erklären, verrichtungsbegleitende Kommunikation
- Erste-Hilfe-Maßnahmen
- Sofortmaßnahmen bei Verdacht auf Herzinfarkt oder Lungenembolie
- Sofortmaßnahmen bei Schockzuständen
- Verabreichung von Notfallmedikamenten nach ärztlicher Anordnung
- Reanimation nach aktuellen Reanimationsleitlinien und anderen dazugehörigen Algorithmen und Behandlungspfaden, u. a. BLS, ALS, Paediatric Advanced Life Support
- Beziehungsarbeit/Kommunikation zur emotionalen Stabilisierung von Betroffenen, z. B. psychologische Erste Hilfe
- Screening und Assessment-Instrumente zu Einschätzung der Vitalfunktionen nutzen
- Informationsweitergabe, z. B. SBAR-Schema
- Koordination der eigenen Aufgaben mit relevanten Personengruppen in Krisen- und Katastrophensituationen
1./2. Ausbildungsdrittel
- Stressregulierung in Notfallsituationen
- Grundlagen der Emotionsarbeit in personenbezogenen Dienstleistungsberufen (Mental Health)
- Anatomie, Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems, ausgewählte Krankheitsbilder, z. B. Herzinfarkt, Lungenembolie
1./2. Ausbildungsdrittel
- Simulation von Notfallsituationen (ggf. im Skills Lab)
- Notfalltrainings an Notfallsimulatoren
- E-Learning-Angebote: Verhalten im Brandfall und Einrichtungs-Evakuierung
Zum Beispiel:
1./2. Ausbildungsdrittel
- Erkundungsaufgabe (doppelter Transfer): trägereigene Notfallpläne sowie Beauftragte und Verantwortliche im Notfallmanagement erkunden und vorstellen
- Besuch einer Rettungsleitstelle/einer Notfallambulanz/einer Erste-Hilfe-Stelle im Krankenhaus
Die zentralen Kompetenzen, die zur Bewältigung akuter Hilfesituationen erforderlich sind, sind im Interesse der Sicherheit der zu pflegenden Menschen bereits in den ersten beiden Ausbildungsdritteln Gegenstand des Ausbildungsprozesses; sie werden im letzten Ausbildungsdrittel zur Erhöhung der Handlungs- und Patientensicherheit erneut aufgegriffen. Unter Berücksichtigung der für verschiedene Altersstufen typischen Notfallsituationen sollte eine exemplarische Auswahl getroffen werden.
1./2. Ausbildungsdrittel
- Einstieg in die curriculare Einheit mit eigenen Erfahrungen von Notfallsituationen im Alltag und in unterschiedlichen Versorgungsbereichen.
- Aufbau der Kompetenzen über Lernsituationen, in denen einfache, nicht unmittelbar lebensbedrohliche Akutsituationen beschrieben werden, z. B.
- Notfallsituationen, in denen Menschen einfache Wunden, thermische Verletzungen oder Frakturen erlitten haben, entsprechende Sofortmaßnahmen
- Unfallsituationen eines Kindes, emotionale Unterstützung des Kindes und der Eltern
- Sturzereignis eines älteren Menschen mit Wunden und Frakturen als Sturzfolge