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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb

1.1 Bildungswert des Faches Jüdische Religionslehre

Die Jüdische Religionslehre unterweist Schülerinnen und Schüler im Judentum und eröffnet ihnen einen Zugang zu ihrer Sprach‑, Erinnerungs‑, Glaubens‑, Lern‑, Werte- und Schicksalsgemeinschaft. Der Religionsunterricht trägt so zur Stärkung der jüdischen Identität der Schülerinnen und Schüler bei. Zugleich fördert die Jüdische Religionslehre die religiöse Bildung und leistet im Rahmen des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule einen eigenständigen und vielseitigen Beitrag. Kennzeichnend ist ein bekenntnisorientierter Unterricht, der die Frage nach Werten thematisiert und zum ganzheitlichen Denken und Handeln anregt. Die Jüdische Religionslehre ermöglicht Zugänge zu den Glaubensgrundlagen, Normen und ethisch-praktischen Vorschriften des Judentums und stellt diese in Bezug zu den heutigen Lebensbedingungen der Schülerinnen und Schüler in unserer pluralistischen Gesellschaft. Sie thematisiert aus diesem Grund elementare Aspekte der Religion, die das alltägliche Leben und dessen Gestaltung betreffen und so ein respektvolles, achtsames, tolerantes und gleichberechtigtes Miteinander fördern. Auf diese Weise unterstützt die Jüdische Religionslehre die Schülerinnen und Schüler dabei, eigenständig und eigenverantwortlich im Sinne der monotheistischen Grundprinzipien des Judentums zu denken und zu handeln sowie diese Grundprinzipien gegenüber anderen Vorstellungen (wie Polytheismus, Atheismus, Nihilismus und so weiter) abzugrenzen zu können.

Damit einhergehend werden die Schülerinnen und Schüler befähigt, aus der Minderheitenperspektive heraus zum einen Selbstbewusstsein und Selbstachtung und zum anderen Verantwortungsbewusstsein, und Solidarität zu entwickeln.

Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven

Das Fach Jüdische Religionslehre leistet auf der Grundlage der jüdischen Tradition, der Tora, einen Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und vermittelt die Bedeutung von Demokratie, Freiheit, Gleichberechtigung und Toleranz. Sie trägt dazu bei, Grundkompetenzen für ein friedliches Zusammenleben zu erwerben. Die Schülerinnen und Schüler werden im Jüdischen Religionsunterricht über die prozessbezogenen und inhaltsbezogenen Kompetenzen zu selbstverantwortlichem und selbstbestimmtem Handeln.

In welcher Weise das Fach Jüdische Religionslehre einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:

  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
    Der Jüdische Religionsunterricht leistet seinen Beitrag für nachhaltige Entwicklung, indem er wichtige Fragen des globalen Zusammenlebens anspricht. Die Schülerinnen und Schüler reflektieren die jüdische Verpflichtung der Wohltätigkeit und Güte (Zedaka und Chessed) und die Verpflichtung des Menschen gegenüber der Schöpfung, Natur und Umwelt.
  • Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
    Der Jüdische Religionsunterricht lehrt den unantastbaren Wert menschlichen Lebens und eröffnet Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft, verbunden mit der Verpflichtung, bei dem Leid der Anderen nicht „still zu stehen“.
  • Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
    Eines der Ziele des Jüdischen Religionsunterrichts ist es die Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeit zu stärken. Wertschätzendes Kommunizieren und reflektiertes Handeln auch in Bezug auf ihre seelische und körperliche Gesundheit sind von zentraler Bedeutung.
  • Berufliche Orientierung (BO)
    Der Jüdische Religionsunterricht fördert die Jugendlichen in ihrer Individualität. Er greift deren Potentiale und Interessen auf und unterstützt sie darin, kritisch zu urteilen und mitzubestimmen. Er ermutigt sie dazu, den Horizont für die Gestaltung des eigenen Lebensweges zu erweitern.
  • Medienbildung (MB)
    Den Umgang mit Medien üben die Schülerinnen und Schüler durch deren angemessenen Einsatz ein. Diese finden ihre Anwendung sowohl bei der Beschaffung von Informationen als auch als Hilfsmittel bei Problemlösungen. Hierzu ziehen sie als Medium zur Recherche Bücher (zum Beispiel Tanach, gedruckte Kommentare, Lexika, Enzyklopädien), Arbeitsblätter und elektronische Medien heran. Auch bei der Präsentation von Lernprozessen und Ergebnissen steigern sie ihre Kompetenz im Bereich der Medienbildung, lernen die Vorzüge und den Umgang mit Medien kennen und erkennen deren Grenzen und Gefahren.
  • Verbraucherbildung (VB)
    Der Jüdische Religionsunterricht vermittelt, basierend auf der jüdischen Ethik, einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Die Schülerinnen und Schüler lernen, welche persönlichen und globalen Konsequenzen ihr Konsumverhalten hat, und werden zu einem verantwortungsbewussten Lebensstil herausgefordert.

Rechtliche Grundlage

Am 1. August 2005 wurde auf Antrag der Israelitischen Religionsgemeinschaften in Baden und in Württemberg ab dem Schuljahr 2005/2006 das Fach Jüdische Religionslehre in Baden- Württemberg aus der Versuchsform in ein ordentliches Unterrichtsfach im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 18 der Landesverfassung und den §§ 96 bis 100 des Schulgesetzes überführt. Im Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg vom 18. Januar 2010 wird im Artikel 4 zum Religionsunterricht unter (1) festgelegt:„Der jüdische Religionsunterricht ist an den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach. Er wird unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der IRG Baden und der IRG Württemberg von deren Bevollmächtigten erteilt und beaufsichtigt.

1.2 Kompetenzen

Die Kompetenzen religiöser Bildung beinhalten die Fähigkeit, die Vielgestaltigkeit von Wirklichkeit wahrzunehmen und zu reflektieren, jüdische Deutungen mit anderen zu vergleichen und eine eigene Position zu vertreten sowie sich in Freiheit auf religiöse Ausdrucks- und Sprachformen (zum Beispiel Symbole und Rituale) einzulassen. Im Sinne der Lebensbegleitung und Identitätsentwicklung sind auch personale und soziale Kompetenzen in den Blick zu nehmen.

Der Bildungsplan Jüdische Religionslehre unterscheidet prozessbezogene Kompetenzen und Standards für inhaltsbezogene Kompetenzen, die in vielfältiger Weise aufeinander bezogen sind.

Prozessbezogene Kompetenzen

Prozessbezogene Kompetenzen sind personale und soziale, kommunikative und reflexive sowie methodische Fähigkeiten, die sich die Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit Religion im Laufe ihres Schullebens aneignen sollen. Sie beziehen sich unter anderem auf die Bildung der Persönlichkeit und den Umgang mit anderen, auf Verfahren der Gewinnung, Vernetzung und Sicherung von Wissen, auf Strategien zur eigenen Planung, Gestaltung und Reflexion von Lernprozessen, auf gestalterische Fähigkeiten sowie die Anwendung erworbenen Wissens und Könnens in Kommunikations- und Handlungssituationen. Prozessbezogene Kompetenzen gelten über alle Schuljahrgänge hinweg. Fähigkeiten, Einstellungen und Fertigkeiten werden als prozessuale Kompetenzen definiert, die für alle Fächer in fachspezifisch unterschiedlicher Weise gelten:

Für den Unterricht im Fach Jüdische Religionslehre werden folgende prozessbezogene Kompetenzen unterschieden:

a) Fragekompetenz
Die Schülerinnen und Schüler können religiöse Problemstellungen durch Fragen erschließen.

b) Lernkompetenz
Die Schülerinnen und Schüler können das religiöse Lernen als einen ununterbrochenen Erkenntnis- und Lebenserfahrungsprozess verstehen.

c) Sach- und Orientierungskompetenz
Die Schülerinnen und Schüler können relevante Phasen der jüdischen Geschichte und religiöse Themen strukturiert erschließen, wiedergeben und zum Verständnis von Gegenwart und Zukunft sowie zum Aufbau der eigenen Identität nutzen.

d) Bewertungskompetenz
Die Schülerinnen und Schüler können religiöse und ethische Problemstellungen bewerten: Sie können basierend auf den Grundlagen der jüdischen Tradition religiöse Anschauungen vergleichen und dazu Stellung beziehen.

e) Dialogkompetenz
Die Schülerinnen und Schüler können Perspektivwechsel vollziehen und diese in Bezug zum eigenen religiösen Standpunkt setzen. Sie gehen respektvoll mit den Überzeugungen anderer um und zeigen sich gesprächsbereit.

f) Gestaltungs- und Handlungskompetenz
Die Schülerinnen und Schüler können sich mit der Frage ihrer individuellen jüdischen Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung auseinandersetzen. Sie entwickeln entsprechend ihrer religiösen und moralischen Einsicht Fähigkeiten zur Ausübung der Mizwot.

Inhaltsbezogene Kompetenzen

Die inhaltsbezogenen Kompetenzen beschreiben die Fähigkeiten und Kenntnisse, die innerhalb der Klassen aufbauend erworben werden und nachhaltig zu sichern sind, damit die in den prozessbezogenen Kompetenzbeschreibungen formulierten Ziele erreicht werden können.

Die Bereiche der inhaltsbezogenen Kompetenzen sind nach den Klassen 5/6, 7/8/9 und 10 differenziert. Darin wird ausgewiesen, was die Schülerinnen und Schüler im Verlauf der Schuljahre lernen, wie sie ihre Kenntnisse, ihre Wahrnehmungs‑, Reflexions- und Ausdrucksfähigkeit sowie ihre praktische Urteilsfähigkeit erweitern.

Die Standards für inhaltsbezogenen Kompetenzen werden im Bildungsplan für den Jüdischen Religionsunterricht in sechs übergreifende Themenbereiche unterteilt:

  • HASCHEM (Gott)
  • TORA (die schriftliche und mündliche Lehre)
  • LUACH (das jüdische Jahr)
  • HAADAM (Mensch)
  • KELAL JISRAEL (die jüdische Gemeinschaft)
  • HAOLAM (die Welt)

Im Gegensatz zu allen anderen Bildungsplänen der Sekundarstufe I beschreibt der Bildungsplan Jüdische Religionslehre die inhaltsbezogenen Kompetenzen nur auf einem Niveau.

1.3 Didaktische Hinweise

Die geringe Schülerzahl und die schwierigen Voraussetzungen zur Stundenplanfindung machen es erforderlich, dass in der Regel klassen- und schulübergreifend unterrichtet wird.

Die Schülerinnen und Schüler des Faches Jüdische Religionslehre stammen überwiegend aus traditionsfernen Haushalten. Religion und jüdische Tradition gehören oft nicht zu ihrer Lebenswelt. Hinzu kommt, dass ihre Umwelt christlich und/oder säkular geprägt ist. Eine vertrauensvolle Atmosphäre ist Voraussetzung für ein offenes Begegnen der existenziellen Fragen des Religionsunterrichts. Jüdische Werte und Ethik reflektieren Handlungsmaximen, dementsprechend versteht sich der Jüdische Religionsunterricht handlungsorientiert.

Unterrichtssituation:

  • niedrige Schülerzahlen, in der Regel kleine Lerngruppen
  • jahrgangs- und schulartübergreifende Klassen
  • Quereinsteiger
  • der Bildungsplan gibt die Möglichkeit, diesen besonderen Bedingungen gerecht zu werden

Die Schülerinnen und Schüler des Jüdischen Religionsunterrichts können am Ende der Grundschule die hebräische Druckschrift lesen. Die Lesefähigkeit zu erhalten, auszubauen (zum Beispiel Erlernen der Schreibschrift) und praktisch anzuwenden, ist eine besondere Herausforderung für die Lehrerinnen/Lehrer an den weiterführenden Schulen. Bei der Integration von Quereinsteigern in den Jüdischen Religionsunterricht stellt gerade die „Alephbetisierung“ eine weitere Herausforderung für die Lehrkräfte dar.


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