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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb

1.1 Bildungswert des Faches Griechisch

Die griechische Literatur und ihr Fortwirken

Der Kampf um Troja und die Erlebnisse karibischer Fischer, die jahrelangen Irrfahrten des Odysseus und der Ablauf eines einzigen Tages im Leben eines Dubliner Zeitungsmitarbeiters – auch Jahrhunderte nach ihrer Entstehung wurden Ilias und Odyssee, die ältesten griechischen Literaturwerke (um 700 v. Chr.), zur Grundlage zweier herausragender Romane der Moderne und Postmoderne: Ulysses von James Joyce (1922) und Omeros von Derek Walcott (1992). Die griechische Literatur steht somit, wie sich hier schlaglichtartig zeigt, nicht nur am Anfang eines jahrtausendealten Traditionszusammenhanges, sie wirkt vielmehr auch kultur- und epochenübergreifend fort.

Mit der griechischen Literatur lernen die Schülerinnen und Schüler grundlegende literarische Gattungen kennen, die bis heute durch ihre Themen, Gestalten und Motive herausfordernd und anregend wirken. In literarischer Form werden menschliche Grundsituationen dargestellt, Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen und verschiedene, zum Teil problematische Lösungsoptionen durchgespielt.

Modellhaftes Denken

Das lebhafte Interesse der Griechen, die Vielfalt des Lebens begrifflich zu erfassen, zeugt von großer Offenheit und der Fähigkeit zu strukturellem Denken. Prägend ist die Tendenz, sich komplexe Zusammenhänge durch Denkmodelle verständlich zu machen. So äußert sich etwa das Bestreben, die Ursprünge der Welt zu erkennen und Naturphänomene zu erklären, sowohl in mythischen Erzählungen als auch in philosophischen Texten. In der Historiographie ist es den Griechen gelungen, auch große Zeit- und Ereignisräume zu strukturieren und Erklärungsmodelle zu entwickeln. Vergleichbares zeigt sich im politischen Bereich, wenn griechische Autoren verschiedene Regierungsformen differenziert beschreiben und argumentativ gegeneinander abwägen.

Das Maß direkter politischer Partizipation, etwa in der attischen Demokratie, erstaunt. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund haben sich modellhafte Formen auch indirekter Partizipation entwickelt: Im philosophischen Dialog wird über Macht und Missbrauch der öffentlichen Rede diskutiert, Gattungen wie Epos, Lyrik und Tragödie verstehen sich als Möglichkeiten zur Selbstvergewisserung einer Gesellschaft auch über divergente Wertvorstellungen, und visuelle Medien reflektieren oft sozialen Status und Geschlechterrollen. Und nicht zuletzt hat die griechische Architektur unterschiedliche Modelle zur räumlichen Strukturierung der Kommunikation, sei es der Menschen untereinander oder mit den Göttern, entwickelt.

Neben ihrer Modellbildung prägt die Griechen ihre hohe Flexibilität, fremde Einflüsse aufzunehmen, den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen anzupassen und so in ihre Kultur zu integrieren. So kann die griechische Kultur gerade in der Gegenwart unter veränderten und sich immer weiter entwickelnden Bedingungen Jugendlichen Anstöße zur Identitätsfindung und Urteilsbildung geben.

Sprache als Mittel der Welterfassung

Die Schülerinnen und Schüler erleben das Griechische als eine Sprache, die hoch differenzierte Mittel bereitstellt, um unterschiedlichste Weltsichten und Vorstellungen nuanciert auszudrücken. Spezifika des Griechischen, wie zum Beispiel der Gebrauch des Artikels oder der Modi, erleichtern die philosophische Abstraktion. Zugleich hat sich die griechische Sprache in unterschiedlichen kulturellen Bereichen als geeignet erwiesen, für komplexe Phänomene treffende Ausdrücke oder wissenschaftliche Fachtermini zu bilden. Dadurch lebt das Griechische in zahlreichen Fremd- und Lehnwörtern fort, die auch heute noch in Alltag, Beruf und Wissenschaft gebräuchlich sind.

Die intensive Beschäftigung mit der griechischen Sprache, Literatur und Kultur verschafft den Schülerinnen und Schülern auf diese Weise ein vertieftes Bewusstsein dafür, wie Sprache und Denken zusammenhängen und Kultur und Gesellschaft sich bedingen.

Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven

In welcher Weise das Fach Griechisch einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:

  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
    Im Bildungsplan Griechisch sind vorrangig Themengebiete aus der griechischen Literatur und Kultur berücksichtigt, die Anknüpfungspunkte zur Umsetzung der Aspekte Werte und Normen in Entscheidungssituationen, Teilhabe, Mitwirkung, Mitbestimmung, Demokratiefähigkeit und Friedensbildung bieten.
  • Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
    Beim Kompetenzerwerb spielen in der Auseinandersetzung mit den Inhalten griechischer Texte besonders die Aspekte personale und gesellschaftliche Vielfalt, wertorientiertes Handeln, Toleranz und Antidiskriminierung eine herausragende Rolle. Die Griechen standen mit ihren Nachbarn im östlichen Mittelmeerraum in intensivem Wirtschafts- und Kulturaustausch, wobei sie sich stets auch ihrer eigenen gesellschaftlichen Situation vergewisserten. Die literarischen Reflexe dieses Verhaltens bieten Möglichkeiten zur Umsetzung der für die Leitperspektive zentralen Fragen nach der Akzeptanz anderer Lebensformen, Möglichkeiten der Konfliktbewältigung und des Interessenausgleichs und ermöglichen den Schülerinnen und Schülern, eigene Haltungen kritisch zu überprüfen und neue Standpunkte einzunehmen.
  • Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
    Die Organisation des eigenen Lernprozesses spielt im Griechischunterricht eine wesentliche Rolle. Das Einüben, Anwenden und Weiterentwickeln von Techniken, Methoden und Strategien in den einzelnen Bereichen des Griechischunterrichts ermöglicht den Schülerinnen und Schülern, ihr Denken, Fühlen und Handeln wahrzunehmen, auszudrücken und zu reflektieren. Dies sind wichtige Voraussetzungen, um sich Lernziele setzen beziehungsweise erreichen zu können und sich im eigenen Handeln als selbstwirksam zu erleben.
  • Berufliche Orientierung (BO)
    Die kontinuierliche Erweiterung von Kompetenzen auf dem Feld von Analyse und Vernetzung sowie die Auseinandersetzung vor allem mit Schriftzeugnissen bieten den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten, ihre Eignung für bestimmte Berufsfelder im Sinne der Einschätzung und Überprüfung eigener Fähigkeiten und Potenziale festzustellen. Sie lernen darüber hinaus eine stark geschlechterspezifisch gegliederte Gesellschaft, aber auch die Möglichkeiten zur Überwindung der dadurch festgelegten Grenzen kennen.
  • Medienbildung (MB)
    Im Fach Griechisch werden unterschiedliche Medien zur Beschaffung von Information und Wissen genutzt, die auch hinsichtlich ihres Werts analysiert werden. Kommunikation und Kooperation sind wesentliche Aspekte sowohl in der griechischen Literatur als auch in der Verständigung über ihre Inhalte. Die Schülerinnen und Schüler werden dazu angeleitet, Ergebnisse ihrer Beschäftigung mit dem Griechischen adressatengerecht zu präsentieren.
  • Verbraucherbildung (VB)
    Die im Griechischunterricht behandelten Themen eignen sich zur Diskussion über Chancen und Risiken der eigenen Lebensführung, indem die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Lebensumfeld mit den häufig modellhaft vorgestellten Lebensentwürfen der Griechen vergleichen. Gerade die Texte aus der Zeit der attischen Demokratie zeigen, dass Bedürfnisse und Wünsche zum menschlichen Leben gehören, daneben auch Wege zu ihrer Befriedigung oder zum Verzicht. Sie lernen außerdem den Einfluss von Medien auf eine antike Gesellschaft kennen und vergleichen ihn mit dem eigenen Leben in einer Medien- und Informationsgesellschaft.

1.2 Kompetenzen

Im Zentrum des Griechischunterrichts steht die Beschäftigung mit griechischen Texten von hohem Bildungswert. An ihnen machen die Schülerinnen und Schüler vielfältige literarische Erfahrungen und entwickeln ihre Fähigkeiten, mit inhaltlich bedeutsamen und ästhetisch ansprechenden Texten umzugehen und zu begreifen, was Literatur überhaupt ausmacht. Die für das Verständnis anspruchsvoller und komplexer Texte grundlegenden sprachlichen Fähigkeiten erwerben sie während der Lehrbuchphase und erweitern sie anschließend spiralcurricular bei der Lektüre von Originaltexten. Dabei erarbeiten sie sich nicht nur Kenntnisse in den Bereichen Wortschatz, Formenlehre und Satzlehre, die sie bei der Entschlüsselung von Texten anwenden, sondern reflektieren auch die gerade im Griechischen besonders vielfältigen Möglichkeiten, die Wahrnehmung von Mensch und Welt sprachlich nuanciert auszudrücken. Auf diese Weise entwickeln sie ein Bewusstsein für die Funktionsweise von Sprache überhaupt und schulen bei der Wiedergabe dieser Nuancen ihre Ausdrucksmöglichkeiten im Deutschen.

Die Schülerinnen und Schüler bedienen sich zum Erwerb und zur Festigung ihrer sprachlichen Kenntnisse verschiedener Methoden. Sie machen sich deren Spezifika bewusst, wählen die für sie passende aus und greifen auf Erfahrungen beim Erlernen anderer Fremdsprachen zurück. Zu ihrer Methodenkompetenz gehört auch, Hilfsmittel und Medien, die sie beim Erarbeiten, Lernen und Präsentieren einsetzen, kritisch reflektiert zu gebrauchen.

In der Auseinandersetzung mit zunehmend komplexen griechischen Texten üben die Schülerinnen und Schüler verschiedene Methoden des Umgangs mit Texten: vorerschließen, übersetzen, paraphrasieren, analysieren, deuten, gestalterisch umsetzen. Dabei erfahren sie den Zusammenhang von inhaltlicher Aussage und formaler Gestaltung als prägendes Merkmal von Literatur. Bei der Interpretation berücksichtigen sie zusätzliche Informationen aus dem historisch-kulturellen Kontext ebenso wie Dokumente der Rezeption. Sie nehmen Stellung zu den Inhalten der Texte und reflektieren dabei ihre eigenen Wertvorstellungen. Auf diese Weise erwerben sie die Fähigkeit, sich mit Freude und Gewinn durch eine informierte und vertiefende Beschäftigung mit Literatur zur Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit anregen zu lassen.

Durch die Beschäftigung mit Texten und sonstigen Zeugnissen der griechischen Kultur einschließlich ihrer Rezeption entwickeln die Schülerinnen und Schüler ihre interkulturelle Kompetenz aus historischer Perspektive weiter. Die Auseinandersetzung mit historisch distanzierten und oft fremden Inhalten erfordert, sich in andere Perspektiven zu versetzen und fördert so die Fähigkeit zur Empathie. Der Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ folgend fördert der Griechischunterricht das Verständnis der Schülerinnen und Schüler für vielfältige Lebensentwürfe und Wertvorstellungen, die in der griechischen Kultur in exemplarischer Form und oft zum ersten Mal formuliert worden sind; auch heutige Einstellungen sind von ihnen geprägt.

1.3 Didaktische Hinweise

Die Aussprache wird von der Lehrkraft vorgegeben. Bei der Einführung in die Akzentlehre müssen die Schülerinnen und Schüler bei einfachen Sätzen Akzente und Hauchzeichen selbstständig setzen können: danach wird die korrekte Setzung von Hauchzeichen und Akzenten grundsätzlich nur bei der schriftlichen Reproduktion von Lernwörtern und Lernparadigmen sowie bei Zitaten erwartet. Lautgesetze sollen bei ihrem ersten Vorkommen thematisiert und sowohl bei der Wortschatzarbeit als auch bei der Erarbeitung neuer Formen herangezogen werden.

Im Mittelpunkt der Wortschatzarbeit in der Spracherwerbsphase sollen zum einen Wörter stehen, die in Platons frühen und mittleren philosophischen Schriften mit hoher Frequenz vorkommen. Hinzu kommen zentrale Begriffe aus anderen Bereichen griechischen Lebens, die als Kulturwortschatz besonders häufig die Grundlage für Fremd- und Lehnwörter bilden. Besonderes Augenmerk soll auf Wortbildungsregeln gelegt werden, mit deren Hilfe sich die Schülerinnen und Schüler unbekanntes Vokabular erschließen können. Bei der Einführung neuer Vokabeln und Konstruktionen sollen sie angeleitet werden, auch auf Vorkenntnisse aus anderen Sprachen zurückzugreifen.

Nicht nur die Wortschatzarbeit, sondern auch die Einführung von Grammatik sowie die Übungen sind auf die Textarbeit auszurichten. Syntaktische Phänomene werden vorwiegend induktiv, formale auch deduktiv erarbeitet. Bei der Analyse von Sätzen kann, falls zweckmäßig, auf Satzmodelle zurückgegriffen werden, die den Schülerinnen und Schülern aus dem Deutsch- oder Lateinunterricht bekannt sind. Die Einführung metasprachlicher Termini beschränkt sich auf das für den Übersetzungs- und Interpretationsvorgang Nötige. Beim Übersetzen sollen die Schülerinnen und Schüler im Sinne der Sprachreflexion und des Sprachvergleichs angeleitet werden, die unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen bewusst anzuwenden. Dies gilt besonders für Spezifika der griechischen Sprache, wie zum Beispiel die unterschiedlichen Aspekte der Tempusstämme oder die vielfältige modale Färbung von Sätzen. Dabei sollen ungebräuchliche Sprachmuster vermieden werden. Den Schülerinnen und Schülern soll regelmäßig Gelegenheit gegeben werden, ihr Vorgehen zu reflektieren und verschiedene Übersetzungsmethoden zu vergleichen.

Einsatz und Gestaltung von Übungen müssen den Schülerinnen und Schülern deren Funktion und Sinnhaftigkeit transparent machen. Bei der Übung von Formen sollen diese nach Möglichkeit in einen Minimalkontext integriert und übersetzt werden. Die eigenständige Formenbildung ist auf die Einführungsphase des jeweiligen Phänomens zu beschränken. Den Schülerinnen und Schülern wird regelmäßig ermöglicht, eigenständig Defizite zu erkennen und selbstbestimmt aufzuarbeiten. Übungen und Aufgaben sollen dazu so gestaltet sein, dass die Schülerinnen und Schüler ihren individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen entsprechend Hilfen und Hinweise erhalten.

Der Übergang zur Originallektüre muss spätestens im ersten Halbjahr des dritten Lernjahres erfolgen. In der Kursstufe können neben den genannten Autoren aus den drei verbindlichen Bereichen (poetische, historische und philosophische Texte) weitere Autoren oder auch Sachthemen behandelt werden.

Der sinnvolle Gebrauch des Wörterbuchs soll rechtzeitig eingeübt werden. In der Kursstufe werden Schülerinnen und Schüler kontinuierlich angeleitet, gezielt und zunehmend selbstständig weitere Hilfsmittel (zum Beispiel Grammatik oder Kommentar) zu benutzen.

Regelmäßig erhalten die Schülerinnen und Schüler bereits in der Lehrbuchphase Impulse, sich von Textinhalten herausfordern und zum Nachdenken anregen zu lassen. Über die bloße Übersetzung hinaus werden sie zu verschiedenen Formen des Umgangs mit Texten angeleitet, wie zum Beispiel Paraphrase, szenische Gestaltung, effektvolle Rezitation, Fortschreibung, Gegenrede. Die Lehrkraft führt die Schülerinnen und Schüler auch in Methoden der Bildinterpretation ein; sie lernen dabei die Spezifika griechischer Kunstgattungen kennen. Rezeptionsdokumente sollen zur Erhellung des griechischen Ausgangstextes und zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit demselben herangezogen werden. Eine umfassende inhaltliche Ausdeutung um ihrer selbst willen ist bei Rezeptionstexten und ‑bildern nicht intendiert.

Den Schülerinnen und Schülern soll die unterschiedliche Aussprache des Alt- und Neugriechischen vermittelt werden, so dass sie auf der Ebene von Einzelwörtern oder kurzen Phrasen Altgriechisches im Neugriechischen benennen können. Unter gegebenen Voraussetzungen können, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Griechenlandfahrt, auch einfache Wendungen zur Kommunikation in typischen Alltagssituationen eingeübt werden.

Nach Möglichkeit soll der Griechischunterricht durch Besuche außerschulischer Lernorte bereichert werden, zum Beispiel durch Museumsexkursionen, Besuch von Ausstellungen, Vorträgen und Theateraufführungen sowie durch Studienfahrten in das Gebiet des antiken Hellas.

1.4 Basisfach und Leistungsfach in der Oberstufe

In der gymnasialen Kursstufe können die Schülerinnen und Schüler das Fach Griechisch als Basisfach oder als Leistungsfach belegen. Basisfach und Leistungsfach unterscheiden sich grundsätzlich in Bezug auf den Komplexitäts- und Abstraktionsgrad der Themenstellungen sowie die Breite, Tiefe und Differenziertheit der Aufgabenbearbeitung.


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