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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb
1.1 Bildungswert des Faches
Gegenstand des Wahlfaches Literatur sind literarische Texte der Weltliteratur. Die Begegnung mit ihnen ermöglicht vielfältige
ästhetische Erfahrungen und eröffnet historische und kulturelle Räume, die Fremdes und Unbekanntes im geschützten Raum
der Fiktion zugänglich machen. Dadurch trägt die vergleichende Auseinandersetzung mit Weltliteratur zur ästhetischen,
literarischen, kulturellen und interkulturellen Bildung bei.
Im Zentrum des Wahlfaches Literatur steht der Vergleich literarischer Texte in ihren jeweiligen Kontexten. Vergleichendes Lesen
schärft die Wahrnehmung von Inhalt und Form und eröffnet erweiterte Erkenntnismöglichkeiten: Es gewährt Einblicke in
literarische Gestaltungsformen und deren Wirkung unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Es erlaubt zudem die
Auseinandersetzung mit anderen kulturspezifischen Wahrnehmungen und mit unterschiedlichen literarischen Gestaltungen von Welterfahrung und
Weltsicht. Dadurch ermöglicht der Textvergleich ein vertieftes Verständnis von Texten. Ein reflektiertes Vergleichen setzt eine
grundlegende Orientierung auf dem Gebiet der Literaturtheorie und einen differenzierten Umgang mit Konzepten der Intertextualität
voraus. So können Wirkungsbeziehungen innerhalb von Literatur und der ständige Prozess von Adaptionen und
Bedeutungszuschreibungen sowie die daraus resultierende Relativität, Vorläufigkeit und Unabschließbarkeit des
Textverständnisses wahrgenommen werden.
Der Vergleich literarischer Texte unterschiedlicher Formen, Zeiten und Kulturen führt auch zu einer Auseinandersetzung mit
Phänomenen der Interkulturalität. Die Betrachtung des Eigenen, Bekannten und Vertrauten im Licht des Fremden ermöglicht
einerseits eine Reflexion der Bedingtheit des Eigenen. Sie lässt andererseits die Bedeutung des Eigenen für das Individuum
erkennen und leistet dadurch einen Beitrag zur Identitätsbildung. Der Einblick in die Kontingenz der eigenen kulturellen
Identität fördert Selbstreflexion und damit auch Toleranz und Respekt vor anderen Lebensformen. Dies befähigt zur Teilnahme
am kulturellen Leben in einer pluralen Gesellschaft und zur Mitgestaltung des Dialogs zwischen den Kulturen.
Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven
- Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Ein verantwortungsbewusster und zukunftsorientierter Umgang mit der Umwelt setzt im Zeitalter der Globalisierung Weltsicht und interkulturelle Verständigung voraus. Der Umgang mit Literatur fördert die Fähigkeit zur Perspektivübernahme und damit Empathiefähigkeit für Menschen in anderen Lebenslagen und ermöglicht in der Folge eine differenzierte, kritische Reflexion eigener und fremder Bedürfnisse und Ansprüche. Zudem erfordert und fördert er den Umgang mit der Komplexität eines Lebensganzen. Damit trägt er dazu bei, die Voraussetzungen für die Entwicklung zukunftsfähiger Lebens- und Gesellschaftsentwürfe zu schaffen. - Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
Die Auseinandersetzung mit Literatur anderer Sprachen, Zeiten und Kulturen erweitert die Perspektive der Schülerinnen und Schüler, fördert das Verstehen fremder Lebensentwürfe und Kulturen und kann so zur Weltoffenheit beitragen. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Fähigkeit interkulturellen Dialogs und konstruktiven Umgangs mit Vielfalt. Zum anderen gibt Literatur Raum für die Auseinandersetzung mit den Faktoren, die Bildung von Identität ermöglichen und prägen. Sie fördert die Identitätsbildung durch die ihr eigene Möglichkeit einer simulativen Erprobung fremder Lebensformen, Haltungen und Wertmaßstäbe und kann Bewusstsein für die Kontingenz der eigenen kulturellen Identität schaffen. - Prävention und Gesundheit (PG)
Die Auseinandersetzung mit fremden Handlungen, Gedanken und Emotionen sowie mit den ihnen zugrundeliegenden Werten, Normen und Haltungen fördert die Reflexion eigenen Tuns und Fühlens und damit Selbstwahrnehmung und Empathie. Sie leistet dadurch einen wichtigen Beitrag zu Selbstwahrnehmung und Steuerung des eigenen Verhaltens. - Berufliche Orientierung (BO)
Indem das Fach Literatur Interesse für Literatur und Kultur weckt und mit literaturwissenschaftlicher Methodik arbeitet, ermöglicht es Einblicke für ein Studium oder eine Ausbildung im Bereich der Sprach- und Kulturwissenschaften. Insoweit die Berufswelt Thema der im Unterricht behandelten Texte ist, eröffnen sich dadurch vielfältige Perspektiven. - Medienbildung (MB)
Die vertiefte Lesefähigkeit, die im Fach Literatur erworben wird, und insbesondere die Fähigkeit, Texte vor dem Hintergrund ihres kulturellen, historischen und kommunikativen Kontextes zu lesen, kommen auch der Rezeptionsfähigkeit von Texten jeglicher medialer Gestalt zugute. Die differenzierte Vergleichskompetenz und das Wissen um Intertextualität, die im Zentrum des Faches stehen, unterstützen intermediale Vergleiche und schärfen den Blick für Anspielungen und Übernahmen. - Verbraucherbildung (VB)
Die Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Weltentwürfen hilft, Chancen und Risiken der Lebensführung zu beurteilen und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche kritisch zu reflektieren.
1.2 Kompetenzen
Prozessbezogene Kompetenzen
Die prozessbezogenen Kompetenzen des Faches Literatur zielen auf eine vertiefte Lesefähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Sie schließen darin an den Kompetenzaufbau im Fach Deutsch und in den Fremdsprachen an. Ein besonderes Gewicht liegt im Wahlfach Literatur auf dem Vergleichen von Texten unterschiedlicher Nationalliteraturen und verschiedener Jahrhunderte der Literaturgeschichte. Dabei werden verstärkt die historischen, sozialen und kulturellen Kontexte einbezogen. Darüber hinaus wird der Prozess des Textverstehens reflektiert. Die Beschäftigung mit literaturtheoretischen Grundlagen wie auch das Verfahren des komparatistischen Vergleichs haben wissenschaftspropädeutische Funktion.
Natürlich sind auch im Wahlfach Literatur beispielsweise das Interpretationsgespräch und die adressaten- und sachgerechte Darstellung in Wort und Schrift unabdingbar. Da diese Kompetenzen aus den Bereichen des Sprechens und Zuhörens und des Schreibens im Fach Literatur nicht im Zentrum der Vermittlung stehen, werden sie nicht eigens ausgewiesen.
Inhaltsbezogene Kompetenzen
Die inhaltsbezogenen Kompetenzen sollen durch die Auseinandersetzung mit einem breiten Spektrum literarischer Texte erworben werden, das sich über mehrere Sprachen, Nationalliteraturen, Zeiträume und Gattungen erstreckt. In erster Linie sollen verbale Texte gelesen werden; Texte anderer medialer Gestalt spielen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die Texte werden in der Regel in Übersetzung gelesen, wobei die vorhandenen fremdsprachlichen Kenntnisse genutzt werden sollten. Anzustreben ist die Lektüre mindestens einer Ganzschrift. Die Auswahl der Texte muss deren Vergleichbarkeit gewährleisten.
Texte erschließen
Basis jeder Auseinandersetzung, Kontextuierung und Gegenüberstellung ist eine differenzierte Texterschließung, die Texte
inhaltlich erfasst, ihre ästhetische Gestaltung analysiert und zu einer Interpretation des Textes führt.
Literaturtheoretische Grundlagen
Literaturtheoretische Grundlagen bilden die Basis für die Erschließung und den Vergleich literarischer Texte im Wahlfach
Literatur. Dazu gehören literaturtheoretische Konzepte, Epochen- und Gattungszuschreibungen und die Theorie der Übersetzung.
Intertextualität
Texte sind immer Teil komplexer bewusster und unbewusster Rezeptionsprozesse. Durch die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen
Möglichkeiten, mit denen literarische Texte auf andere Texte Bezug nehmen können, werden Analysekompetenzen erweitert. Im Umgang
mit intertextuellem Wissen entwickeln die Schülerinnen und Schüler historisches und interkulturelles Bewusstsein. Da
Textlektüren beeinflusst werden von der Kenntnis von Prätexten im weitesten Sinne, ermöglicht das Wissen um intertextuelle
Bezüge auch die Reflexion der Rolle der Leserin beziehungsweise des Lesers und eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen
Konzepten von Autorschaft.
Interkulturalität
Literatur ermöglicht besondere interkulturelle Begegnungen: Indem Texte zueinander in Bezug gesetzt werden, wird auch ein Vergleich
ihrer Kontexte und der dargestellten Lebenswelten möglich. Dies erlaubt es, Phänomene und Prozesse einer Kultur zu reflektieren.
Durch ihre Fiktionalität eröffnet Literatur zudem Reflexionsspielräume, wie adäquat mit Anderem und Fremdem umgegangen
werden kann.
Texte vergleichen
Wesentlich für das Wahlfach Literatur ist das Verfahren des komparatistischen Vergleichs. Dabei werden literarische Texte unter
verschiedenen Aspekten, zum Beispiel der Epochenzugehörigkeit, der Gattung oder der Thematik sowie anthropologischer Fragestellungen,
verglichen. Im Spannungsfeld von Analogie und Differenz kommt die Besonderheit des einzelnen Textes stärker zur Geltung und führt
zu einem vertieften Verständnis.
1.3 Didaktische Hinweise
Der Unterricht im Wahlfach Literatur verzahnt die im Bildungsplan ausgewiesenen Kompetenzbereiche eng miteinander: Das differenzierte Lesen und Erschließen von Texten, der Textvergleich und die theoretischen Grundlagen zu Intertextualität, Interkulturalität und Literaturtheorie greifen vielfältig ineinander. Das Verweissystem dokumentiert die engen Bezüge zwischen prozess- und inhaltsbezogenen Kompetenzen wie auch der inhaltsbezogenen Kompetenzen untereinander, aber auch zu anderen affinen Fächern und zu den Leitperspektiven.
Die Auseinandersetzung mit dem weiten Feld der Weltliteratur erfordert exemplarisches Arbeiten. Der Unterricht im Wahlfach Literatur wird durch eine Auswahl leitender Vergleichsthemen und ‑aspekte strukturiert, die eine klare Schwerpunktsetzung verlangt. Um eine hinreichende Breite der Textbasis zu gewährleisten, kann auch mit Textauszügen gearbeitet werden, wobei mindestens eine Ganzschrift gelesen werden sollte.
Der Literaturunterricht erschließt Texte über die Erfahrung von Kontrast und Analogie. Dazu ermöglicht er den Schülerinnen und Schülern einen methodisch vielfältigen, abwechslungsreichen und motivierenden Zugang zu Texten. Neben analytischen Verfahren, die einen Schwerpunkt im Wahlfach Literatur bilden, können auch handlungs- und produktionsorientierte Verfahren genutzt werden. Auch die Methodenkompetenz (zum Beispiel Methoden der Texterschließung, Arbeit mit einschlägigen Nachschlagewerken und Literaturlexika) sollte weiterentwickelt werden.
Im Unterricht sollten Fremdsprachkenntnisse und Mehrsprachigkeit genutzt werden. Die individuellen Interessen und Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler bieten Möglichkeiten zu binnendifferenziertem Arbeiten, zum Beispiel auch in Form von Projekten. Nicht zuletzt können hier auch außerschulische Lernorte wie Theater, literarische Museen und Gedenkstätten oder Literaturhäuser lebendige Literaturerfahrungen vermitteln.