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1. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb
„Wenn jemand die grundlegenden Methoden seines Faches beherrscht und selbständig zu denken und zu arbeiten gelernt hat, so wird er sich schon zurechtfinden und obendrein besser imstande sein, sich Fortschritten und Umwälzungen anzupassen als derjenige, dessen Ausbildung hauptsächlich in der Erwerbung von Detailkenntnissen besteht.“
(Albert Einstein)
1.1 Bildungswert des Faches Physik
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse beeinflussen seit der Antike die Entwicklung der Kultur in Europa und spätestens seit dem 20. Jahrhundert die Kultur der gesamten Menschheit. Die Physik prägte durch ihre Erkenntnisse und ihre Methodik andere Naturwissenschaften und löste vor allem im Bereich der Philosophie mehrmals geisteswissenschaftliche Umwälzungen aus.
Mit dem Erfolg der Physik ist das Wirken Galileo Galileis verbunden: Neben seiner innovativen, streng mathematischen Vorgehensweise prägte er vor allem die Rolle des Experimentes in der Physik als notwendige empirische Überprüfung physikalischer Theorien. Seither unterscheidet sich die Physik von anderen Welterklärungsansätzen durch den konsequenten Anspruch auf die prinzipielle Überprüfbarkeit des Wissens durch das Experiment. Dieser Ansatz spiegelt sich in den Denk- und Arbeitsweisen der Physik wider, die gemeinsam mit den physikalischen Inhalten unverzichtbarer Bestandteil eines naturwissenschaftlichen Unterrichts sind.
Die Physik bildet nicht nur die Grundlage für technische und medizinische Entwicklungen, sondern prägt in vielerlei Hinsicht unser Leben in einer hochtechnisierten Gesellschaft. Technische Entwicklungen bergen aber neben Chancen auch Risiken mit teilweise weitreichenden Folgen für Umwelt, Gesellschaft und Frieden. Es gilt, diese zu erkennen und zu bewerten. Physikalische Bildung ermöglicht dem Individuum eine aktive Teilhabe an gesellschaftlicher Kommunikation und Meinungsbildung über technische Entwicklung und naturwissenschaftliche Forschung und ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Allgemeinbildung in einer naturwissenschaftlich-technisch geprägten Welt.
Beitrag des Faches zu den Leitperspektiven
In welcher Weise das Fach Physik einen Beitrag zu den Leitperspektiven leistet, wird im Folgenden dargestellt:
- Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Die Leitperspektive Bildung für nachhaltige Entwicklung findet in Physik besondere Berücksichtigung: Physikalisches Wissen ist zum Verständnis sowie zur Lösung vieler globaler Entwicklungs- und Umweltfragen unabdingbar. So legt die Physik durch den Energie- und den Leistungsbegriff, die Zusammenhänge von Energieübertragungen durch elektrische und thermische Prozesse, Strahlungsbilanzen etc. Grundlagen für das globale Denken und lokale Handeln im Sinne der Agenda 21. - Prävention und Gesundheitsförderung (PG)
Auch zur Leitperspektive Prävention und Gesundheitsförderung liefert die Physik wichtige Beiträge: Im Bereich der Elektrizitätslehre werden Gefahren des elektrischen Stroms sowie Maßnahmen zum Schutz erörtert. Aus den Kenntnissen der Mechanik werden Regeln für sicheres Verhalten im Straßenverkehr abgeleitet. Die Anwendungsbereiche und Gefahren ionisierender Strahlung werden aufgezeigt.
Der Physikunterricht berücksichtigt Vorstellungen und Alltagserfahrungen, überführt sie in fachliche Konzepte und ermöglicht individuell unterschiedliche Lernwege. Die Schülerinnen und Schüler lernen eigene Wahrnehmungen zu reflektieren und werden in das physikalische Denken und Arbeiten eingeführt. Damit unterstützt der Physikunterricht Kinder und Jugendliche im Sinne der Grundprävention. - Berufliche Orientierung (BO)
Der Physikunterricht knüpft an den Interessen von Schülerinnen und Schülern an und baut diese unter anderem durch Alltags- und Technikbezüge weiter aus. Das Erleben von naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen führt bei den Schülerinnen und Schülern zu ersten Vorstellungen von einem Beruf im physikalisch-technischen Bereich. Im Unterricht und bei Exkursionen an außerschulische Lernorte können auch anwendungsbezogene naturwissenschaftliche Berufsfelder vorgestellt werden. Auf diese Weise kann der Physikunterricht einen Beitrag zur beruflichen Orientierung leisten. - Medienbildung (MB)
Das naturwissenschaftliche Experiment, die zugehörige Datenerfassung und ‑auswertung mithilfe des Computers, des Smartphones oder vergleichbarer Geräte sind wichtige Beiträge des Physikunterrichts zur Medienbildung. Es gehört zu den Aufgaben der Medienbildung im Physikunterricht, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, sich Informationen zu beschaffen, deren Quellen zu prüfen und deren Darstellungen kritisch zu interpretieren. Sowohl bei der Erarbeitung von fachlichen Inhalten als auch bei der Präsentation von Arbeitsergebnissen greifen die Schülerinnen und Schüler im Physikunterricht auf verschiedene Medien zurück und setzen diese angemessen und verantwortungsbewusst ein. - Verbraucherbildung (VB)
Zahlreiche Produktkennzeichnungen basieren auf physikalischen Größen. Der Physikunterricht sensibilisiert für naturwissenschaftliche Zusammenhänge, so dass die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel pseudowissenschaftliche Argumentationen durchschauen und sich kritisch mit Aussagen in Werbung, Marketing und Produktgestaltung auseinandersetzen. Physikalisches Verständnis ermöglicht somit ein bewusstes und selbstbestimmtes Konsumverhalten im Sinne der Verbraucherbildung, auch unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit.
1.2 Kompetenzen
Unsere Gesellschaft unterliegt einem raschen Wandel, der das Leben aller Menschen beeinflusst. Die Kompetenzorientierung befähigt die Schülerinnen und Schüler, künftig auch solche Problemstellungen bewältigen zu können, die wir heute noch nicht kennen. Der Bildungsplan für den Physikunterricht zielt daher vor allem auf das Verständnis und die Anwendung grundlegender physikalischer Begriffe, Gesetze, Konzepte und Modelle. Naturwissenschaftliche Bildung zeigt sich in der Fähigkeit, physikalisches Wissen anzuwenden, physikalische Fragestellungen zu erkennen, aus physikalischen Fakten Schlussfolgerungen zu ziehen und Bewertungen aufgrund einer naturwissenschaftlich-rationalen Abwägung vorzunehmen. Dazu sind sowohl inhaltsbezogene als auch prozessbezogene Kompetenzen nötig. Während die inhaltsbezogenen Kompetenzen das Fachwissen in Umfang und Tiefe festlegen (zum Beispiel Begriffe, Gesetze, Prinzipien), spiegeln die prozessbezogenen Kompetenzen vor allem die Fachmethoden wider, die zum Lösen physikalischer Problemstellungen notwendig sind.
Die im Bildungsplan aufgeführten Kompetenzen sind abschlussbezogene Zielvorgaben. Die Reihenfolge der fachsystematischen Kapitel und der Teilkompetenzen innerhalb dieser Kapitel spiegelt daher keinen expliziten Unterrichtsgang wider. Stattdessen liegen die unterrichtliche Umsetzung sowie die Auswahl der dabei verwendeten fachdidaktischen Konzepte in der Verantwortung der Lehrkraft. Insbesondere können auch Teilkompetenzen unterschiedlicher Kapitel in einer Unterrichtseinheit kombiniert werden.
Prozessbezogene Kompetenzen in Physik
Der Bildungsplan Physik unterscheidet in Anlehnung an die Standards der Kultusministerkonferenz (KMK) für den mittleren Schulabschluss bei den prozessbezogenen Kompetenzen die Bereiche Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung. Im Bereich der Erkenntnisgewinnung stehen das zielgerichtete Experimentieren, das Modellieren und Mathematisieren sowie der Erwerb und die Anwendung von Wissen im Vordergrund. Der Bereich Kommunikation umfasst das Verbalisieren, Dokumentieren und Präsentieren von Ergebnissen und Erkenntnissen. Dazu gehören auch die Fachsprache und die Verwendung unterschiedlicher Darstellungsformen. Schwerpunkte im Bereich der Bewertung sind die Reflexion physikalischer Arbeitsweisen, das Diskutieren von Chancen und Risiken sowie der kritische Umgang mit Informationen und Quellen.
Inhaltsbezogene Kompetenzen in Physik
Die Standards für inhaltsbezogene Kompetenzen orientieren sich weitgehend an der Fachsystematik und bauen spiralcurricular auf den physikalischen Aspekten des Fächerverbundes Biologie, Naturphänomene und Technik (BNT) auf. Die Basiskonzepte der KMK-Bildungsstandards sind inhaltlich integriert. Quer zur Fachsystematik liegt der Bereich Physikalische Denk- und Arbeitsweisen. Danach sollen die Schülerinnen und Schüler physikalische Denk- und Arbeitsweisen nicht nur anwenden (siehe prozessbezogene Kompetenzen), sondern diese auch erläutern und reflektieren können. Beispielsweise ist die Beschreibung einer Beobachtung und die Erklärung anhand eines Modells eine prozessbezogene Kompetenz. Dagegen entspricht die Erläuterung von Kriterien zur Unterscheidung von Beobachtungen und Erklärungen einer inhaltsbezogenen Kompetenz genauso wie die Diskussion der Funktionen von Modellen in der Physik.
Kursiv geschriebene Fachbegriffe in den inhaltsbezogenen Kompetenzen (zum Beispiel Energie) sind im Unterricht verbindlich mit dem Ziel einzusetzen, dass die Schülerinnen und Schüler diese
- in unterschiedlichen Kontexten ohne zusätzliche Erläuterung verstehen und anwenden können,
- im eigenen Wortschatz als Fachsprache aktiv benutzen können,
- mit eigenen Worten korrekt beschreiben können.
Fachbegriffe, die in den Standards nicht kursiv gesetzt sind, werden verwendet, um die Kompetenzbeschreibung für die Lehrkräfte fachlich präzise und prägnant formulieren zu können. Die Schülerinnen und Schüler müssen über diese Fachbegriffe nicht verfügen können.
Formeln sind verbindlich im Unterricht so zu behandeln, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende des Kompetenzerwerbs diese kennen, ihre inhaltliche Bedeutung wiedergeben und sie anwenden können. Des Weiteren kann der Operator „beschreiben“ auch eine quantitative Beschreibung anhand einer Formel einschließen, insbesondere dann, wenn in der entsprechenden Teilkompetenz eine Formel aufgeführt ist.
Vernetzung von inhaltsbezogenen und prozessbezogenen Kompetenzen
Prozessbezogene Kompetenzen werden in der Regel anhand von Inhalten vermittelt. Dabei ist zu beachten, dass die prozessbezogenen Kompetenzen Zielformulierungen sind, die über alle Klassen hinweg bis zum Abitur schrittweise und altersgemäß interpretiert werden müssen. Im Bildungsplan sind die inhaltsbezogenen Kompetenzen daher anhand von Verweisen mit den prozessbezogenen Kompetenzen, den Leitperspektiven sowie mit anderen inhaltsbezogenen Kompetenzen und Fächern vernetzt. Die im Bildungsplan aufgeführten Verweise sind exemplarisch gewählt und zeigen naheliegende Stellen auf, an denen diese Vernetzung im Unterricht umgesetzt werden könnte.
Hinweise zur Kursstufe
Die beiden Basisfächer und das Leistungsfach beinhalten prinzipiell die gleichen Themen. Das Leistungsfach zeichnet sich jedoch durch einen höheren Mathematisierungsgrad (zum Beispiel die Verwendung von Differentialgleichungen), eine größere Themenbreite (zum Beispiel die Bewegung von Teilchen in Feldern) sowie eine stärkere Vertiefung (zum Beispiel durch die Verwendung von Operatoren aus einem höheren Anforderungsbereich) aus. In den Basisfächern stehen die exemplarische Behandlung von Inhalten und die Arbeit mit Kontexten im Vordergrund. Auf die verbindliche Vorgabe von Fachbegriffen (Kursivschreibung) wurde in den Basisfächern verzichtet.
1.3 Didaktische Hinweise
Am Anfang eines Physikverständnisses stehen das Staunen über Naturphänomene und die Faszination, die von technischen Geräten ausgeht. Die Betrachtung dieser Phänomene und Geräte gibt im Unterricht Anstöße zu ersten physikalischen Fragestellungen. Anhand von Vermutungen und deren Überprüfung werden die Schülerinnen und Schüler zunehmend vertrauter mit dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess, in dessen Mittelpunkt das Experiment steht.
Prozessbezogene Kompetenzen können nur durch das eigene Tun erworben werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen hierbei auch einen angemessenen Grad an Selbstständigkeit erreichen. Für diese Handlungsorientierung muss genügend Zeit zur Verfügung stehen, um beispielsweise die physikalische Arbeitsweise einzuüben sowie innerhalb der Lerngruppe unterschiedliche Lösungswege zu vergleichen, zu diskutieren und zu bewerten. Dabei sollen insbesondere auch individuell unterschiedliche Lernwege berücksichtigt und gefördert werden.
Die Entwicklung des Physikverständnisses ist eng verknüpft mit der Suche nach einer angemessenen Sprachebene: Ausgehend von der Alltagssprache werden die Schülerinnen und Schüler im Laufe des Unterrichts zunehmend sicherer im Gebrauch der Fachsprache und stärken ihre Fähigkeiten zu Abstraktion und physikalischer Modellbildung, die spiralcurricular aufgebaut werden sollten. Quantitative Beschreibungen physikalischer Aussagen werden mit zunehmendem Alter der Schülerinnen und Schüler bedeutsamer und führen zur mathematischen Sprachebene der Physik. Umgekehrt führt die Anwendung mathematischer Methoden zu physikalischen Vorhersagen, die experimentell überprüft werden können. Insbesondere hinsichtlich der Mathematisierung ist eine enge Abstimmung mit affinen Fächern, insbesondere Mathematik sowie Naturwissenschaft und Technik (NwT) erforderlich.
Physik darf nicht nur im Physiksaal relevant sein: Die Lebenswelt und der Alltag der Schülerinnen und Schüler sollen ebenso in den Unterricht mit einbezogen werden wie technische Anwendungen, biophysikalische Aspekte sowie populärwissenschaftliche Darstellungen in Texten, Bildern und Filmen. Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei, Fragen an ihre Umwelt zu stellen, diese physikalisch zu untersuchen und physikalische Erkenntnisse auf ihren Alltag zu übertragen. Hierbei sind Verknüpfungen zu anderen Fächern ebenso hilfreich wie der Besuch von außerschulischen Lernorten wie zum Beispiel Museen, Schülerlabore, Forschungszentren und Industriebetriebe.
Entscheidend für die Gestaltung eines erfolgreichen Physikunterrichts ist die Berücksichtigung von Schülervorstellungen, Alltagserfahrungen und Alltagssprache: Diese Vorstellungen müssen im Unterricht aufgegriffen und in fachliche Konzepte überführt beziehungsweise durch solche ergänzt werden.
Der Physikunterricht soll die Schülerinnen und Schüler für physikalische Fragestellungen begeistern und sie gegebenenfalls auf eine Berufsausbildung oder ein Studium in diesem Bereich vorbereiten. Ein motivierender Physikunterricht berücksichtigt dabei die Interessen von Jungen und Mädchen in gleicher Weise. So sind beispielsweise Fragestellungen, die an Gesundheit, Natur und Umwelt, an den Menschen und seine Zukunftsgestaltung anknüpfen, sowohl für Mädchen als auch Jungen interessant.
Der Einsatz von Computern, Smartphones oder vergleichbaren Geräten sowie dem Internet ist im Physikunterricht eine Selbstverständlichkeit – beim Wissenserwerb, beim Erfassen und Auswerten von Messdaten, beim Dokumentieren und Präsentieren sowie beim Einsatz von Simulationssoftware als Ergänzung zu Realexperimenten.
Ziel des Physikunterrichts ist ein nachhaltiges Physikverständnis. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei das Üben, Wiederholen und Vertiefen. Die spiralcurriculare Verankerung wichtiger Themengebiete bietet hierzu vielfältige Ansatzpunkte. Offene Aufgabenformate und Problemstellungen, die verschiedene Lösungswege zulassen, sichern dabei die Anwendbarkeit des Wissens – auch auf neue Kontexte.
Der Physikunterricht bereitet die Schülerinnen und Schüler darauf vor, ihre physikalischen Kompetenzen zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft einbringen zu können.
1.4 Basisfach und Leistungsfach in der Oberstufe
In der Kursstufe können die Schülerinnen und Schüler das Fach Physik als Basisfach oder als Leistungsfach belegen. Basisfach und Leistungsfach haben die gemeinsame Aufgabe der Vermittlung physikalischer Inhalte und physikalischer Denk- und Arbeitsweisen. Das Leistungsfach geht quantitativ wie qualitativ über die Anforderungen des Basisfaches hinaus. So wird einerseits im Leistungsfach ein größerer Umfang an physikalischen Themen und Inhalten behandelt, andererseits auch ein höherer Vertiefungs‐ und Mathematisierungsgrad gefordert.