Fachbezogene Vorbemerkungen
1. Fachspezifischer Bildungsauftrag (Bildungswert des Faches)
Mathematische Anwendungen finden sich in unterschiedlichen Bereichen unserer Lebenswelt, sie bilden die Grundlage für viele gesellschaftliche Entscheidungen und wissenschaftliche Entwicklungen. Mathematik ist eine kulturelle Errungenschaft, die über Jahrtausende hinweg zur heutigen Fülle gewachsen ist. Eine Wissenschaft, die bereits in frühesten Kulturen Fragen über die Anwendbarkeit hinaus nach Mustern und Verhältnissen gestellt hat und mit verblüffenden, zum Teil der unmittelbaren Intuition zuwiderlaufenden Einsichten aufwarten konnte.
Aus diesem Mathematikverständnis leitet sich der grundsätzliche Beitrag des Mathematikunterrichts zu den allgemeinen Bildungszielen der gymnasialen Oberstufe sowie zur Kompetenzentwicklung bis zur allgemeinen Hochschulreife ab. Zusammenfassen lässt sich dieser Beitrag in den Grunderfahrungen nach Heinrich Winter (vgl. Winter (1996): Mathematikunterricht und Allgemeinbildung, in Mitteilungen der Gesellschaft für Didaktik in der Mathematik Nr. 61):
- Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, Beruf und Arbeit in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen (Mathematik und Alltagserfahrungen),
- Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln als geistige Schöpfungen, als deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu begreifen (innermathematisches Arbeiten),
- in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten zu erwerben, die über die Mathematik hinausgehen (heuristische Fähigkeiten).
2. Fachliche Aussagen zum Kompetenzerwerb, prozessbezogene Kompetenzen
Der Mathematikunterricht eröffnet jedem Lernenden auf der Grundlage dieses Bildungsplans einen Zugang zu den genannten Grunderfahrungen, um damit ihr bislang erworbenes Bild von Mathematik zu erweitern und Freude an ihrem eigenen mathematischen Potenzial zu entwickeln. Ein solcher Unterricht soll die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler zur Entfaltung bringen. Dabei erleben die Lernenden in einer zunehmend eigenständigen Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten und Problemstellungen ihre Selbstwirksamkeit bei mathematischen Fragestellungen und werden „zunehmend fähig, ihr Lernen selbst zu steuern und zu verantworten.“ (vgl. Basismodell zur individuellen Förderung an beruflichen Schulen). Damit setzt der Mathematikunterricht den im Schulgesetz Baden-Württembergs verankerten Bestandteil des Erziehungs- und Bildungsauftrags zur individuellen Förderung um. Eine horizontale wie auch vertikale Vernetzung der mathematischen Inhalte ermöglicht den Schülerinnen und Schülern, nachhaltige Grundvorstellungen aufzubauen. Das Verständnis mathematischer Begriffe und Ideen steht im Vordergrund und wird durch eine sprachsensible Gestaltung der Unterrichtsimpulse gefördert.
Durch eine fortwährende Vermittlung von konkret und abstrakt operationalem Denken anhand kognitiv aktivierender Unterrichtsgestaltungen (vgl. Fauth, Leuders (2018): Kognitive Aktivierung im Unterricht, Wirksamer Unterricht Band 2) bilden die Lernenden folgende Kompetenzen aus: In Zusammenhängen denken, reale Vorgänge modellieren, Techniken des Problemlösens beherrschen sowie Ergebnisse darstellen und interpretieren. Ausgehend von einer pädagogischen Begleitung der Schülerinnen und Schüler eröffnet die Lehrperson den Lernenden Möglichkeiten zum individuellen Lernen. Vor dem Hintergrund der Tiefenstrukturen, kognitive Aktivierung, konstruktive Unterstützung und Klassenführung, (vgl. Trautwein, Sliwka, Dehmel (2018): Grundlagen für einen wirksamen Unterricht, Band 1, Landesinstitut für Schulentwicklung) finden die mathematischen Inhalte ihren Ausdruck durch folgende allgemeine mathematische Kompetenzen (vgl. Bildungsstandards im Fach Mathematik für die Allgemeine Hochschulreife, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012):
- K1: Mathematisch argumentieren,
- K2: Probleme mathematisch lösen,
- K3: Mathematisch modellieren,
- K4: Mathematische Darstellungen verwenden,
- K5: Mit symbolischen, formalen und technischen Elementen der Mathematik umgehen,
- K6: Mathematisch kommunizieren.
Die einzelnen Prozesskompetenzen sind nicht disjunkt voneinander zu verstehen, sondern überschneiden sich vielmehr. Die Lernenden nutzen bei der Auseinandersetzung mit Mathematik immer mehrere Kompetenzbereiche im Wechselspiel. Dabei nimmt die Problemlösekompetenz eine zentrale Stellung ein, weshalb sie explizit als eigenständige Bildungsplaneinheit in den Bildungsplan aufgenommen wurde. Durch Reflexion über Problemlösestrategien und Heuristiken bilden sich Fähigkeiten und Fertigkeiten aus, die auf andere Lebensbereiche übertragbar sind. Für die Realisierung eines kompetenzorientierten Mathematikunterrichts bieten die folgenden Merkmale, wie sie von Blum und Biermann herausgearbeitet wurden, eine Orientierung zur konkreten Umsetzung des Bildungsplans (vgl. Biermann, Blum (2001), in Mathematik Lehren, Heft 108):
- Behandlung offener Aufgaben mit breitem Differenzierungspotenzial,
- Erarbeiten vielfältiger Lösungen, Vergleichen und Bewerten von Lösungen,
- Inner- und außermathematische Vernetzungen,
- Vorstellungsaktivierung, Modellieren, Argumentieren und Begründen,
- Durchgängig geistige Schüleraktivität,
- Methodenvariation im Rahmen einer klaren Unterrichtskultur mit vielen Schüler-Kooperationsphasen,
- Erkennbar beurteilungsfreie Arbeitsatmosphäre, wo Fehler Lernanlässe sind,
- Reflexion über das Vorgehen und über Mathematik.
3. Ergänzende fachliche Hinweise
„Die Entwicklung mathematischer Kompetenzen wird durch den sinnvollen Einsatz digitaler Mathematikwerkzeuge unterstützt. Das Potenzial dieser Werkzeuge entfaltet sich im Mathematikunterricht
- beim Entdecken mathematischer Zusammenhänge, insbesondere durch interaktive Erkundungen beim Modellieren und Problemlösen,
- durch Verständnisförderung für mathematische Zusammenhänge, nicht zuletzt mittels vielfältiger Darstellungsmöglichkeiten,
- mit der Reduktion schematischer Abläufe und der Verarbeitung größerer Datenmengen,
- durch die Unterstützung individueller Präferenzen und Zugänge beim Bearbeiten von Aufgaben einschließlich der reflektierten Nutzung von Kontrollmöglichkeiten“ (Bildungsstandards im Fach Mathematik für die Allgemeine Hochschulreife, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012).
Die Einsatzmöglichkeiten von digitalen Mathematikwerkzeugen wie Computeralgebrasystemen, dynamischer Geometriesoftware und Tabellenkalkulationen orientieren sich zum einen an der oben beschriebenen Intention der Begegnung mit den Grunderfahrungen, zum anderen an den mathematischen Kompetenzen. Daraus lassen sich erste didaktische Konkretisierungen für den Mathematikunterricht mit digitalen Mathematikwerkzeugen ableiten:
- Erzeugen und Analysieren von Beispielen zur Diskussion geeigneter Lösungswege (K2),
- Entwickeln von mathematischen Modellen und deren Variation und Bewertung (K3),
- Verarbeiten von umfangreichen realen Datenmengen (K3, K5),
- Wechseln zwischen verschiedenen Darstellungsformen zur Unterstützung von Argumentation und Dokumentation individueller Überlegungen (K1, K4),
- Entdecken von mathematischen Mustern durch Interpretation von Rechenergebnissen (K5, K4),
- Fördern von eigenständigem Arbeiten durch Validieren eigener Berechnungen (K5, K1),
- Verbessern der Fachsprache mittels verschiedener Darstellungsmöglichkeiten (K5, K6).
Der Einsatz von digitalen Medien und Werkzeugen dient nicht als Ersatz, sondern als didaktisch fundierte Ergänzung zu anderen Formen des Lehrens und Lernens. In Verbindung mit der individuellen Förderung orientiert sich der Einsatz digitaler Medien bzw. Endgeräte an folgenden Gesichtspunkten (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport (2017): Individuelle Förderung mit Unterstützung von digitalen Endgeräten im Unterricht an beruflichen Schulen):
- Gestaltung des Unterrichts entlang der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler,
- Individualisierte Unterstützung des Lernprozesses durch digitale Geräte und entsprechende Software im Unterricht,
- Nutzung von Blended-Learning-Konzepten zur individuellen Förderung,
- Gewinnung von Handlungssicherheit im Rahmen von Lehr-Lern-Arrangements für Schülerinnen und Schüler bzw. Lehrkräfte.
Damit fördert der Einsatz von digitalen Medien und Werkzeugen im Mathematikunterricht die Ausbildung von Kompetenzen, aber auch von Haltungen, wie sie oben ausgeführt wurden, und unterstützt die Lehrkräfte bei der Umsetzung des Bildungsplans bzw. des Erziehungsauftrags.
Die Schülerinnen und Schüler erwerben die genannten Kompetenzen anhand der mathematischen Inhalte des vorliegenden Bildungsplans. Die einzelnen Einheiten dieses Bildungsplans orientieren sich maßgeblich an den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für das Fach Mathematik vom 18.10.2012. Beim Unterricht in den beiden Jahrgangsstufen wird zwischen einem grundlegenden und einem erhöhten Anforderungsniveau entsprechend den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife differenziert.
Fächerübergreifende Aufgabenstellungen verdeutlichen die weitreichende Bedeutung der Mathematik. Durch die Behandlung von Problemen aus der Berufs- und Arbeitswelt sowie durch Begegnungen mit Anwendungssituationen fördert der Mathematikunterricht die berufliche Orientierung der Schülerinnen und Schüler und bereitet gleichzeitig auf ein Hochschulstudium vor.
Hinweise zum Umgang mit dem Bildungsplan
Der Bildungsplan zeichnet sich durch eine Inhalts- und eine Kompetenzorientierung aus. In jeder Bildungsplaneinheit (BPE) werden in kursiver Schrift die übergeordneten Ziele beschrieben, die durch Zielformulierungen sowie Inhalts- und Hinweisspalte konkretisiert werden. In den Zielformulierungen werden die jeweiligen fachspezifischen Operatoren als Verben verwendet. Operatoren sind handlungsinitiierende Verben, die signalisieren, welche Tätigkeiten beim Bearbeiten von Aufgaben erwartet werden. Die für das jeweilige Fach relevanten Operatoren sowie deren fachspezifische Bedeutung sind jedem Bildungsplan im Anhang beigefügt. Durch die kompetenzorientierte Zielformulierung mittels dieser Operatoren wird das Anforderungsniveau bezüglich der Inhalte und der zu erwerbenden Kompetenzen definiert. Die formulierten Ziele und Inhalte sind verbindlich und damit prüfungsrelevant. Sie stellen die Regelanforderungen im jeweiligen Fach dar. Die Inhalte der Hinweisspalte sind unverbindliche Ergänzungen zur Inhaltsspalte und umfassen Beispiele, didaktische Hinweise und Querverweise auf andere Fächer bzw. BPE.
Der VIP-Bereich des Bildungsplans umfasst die Vertiefung, individualisiertes Lernen sowie Projektunterricht. Im Rahmen der hier zur Verfügung stehenden Stunden sollen die Schülerinnen und Schüler bestmöglich unterstützt und bei der Weiterentwicklung ihrer personalen und fachlichen Kompetenzen gefördert werden. Die Fachlehrerinnen und Fachlehrer nutzen diese Unterrichtszeit nach eigenen Schwerpunktsetzungen auf Basis der fächerspezifischen Besonderheiten und nach den Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Der Teil „Zeit für Leistungsfeststellung“ des Bildungsplans berücksichtigt die Zeit, die zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Leistungsfeststellungen zur Verfügung steht. Dies kann auch die notwendige Zeit für die gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen (GFS), Nachbesprechung zu Leistungsfeststellungen sowie Feedback-Gespräche umfassen.