Fachbezogene Vorbemerkung
1. Fachspezifischer Bildungsauftrag (Bildungswert des Faches)
Der evangelische Religionsunterricht am Beruflichen Gymnasium der dreijährigen Aufbauform fördert die religiöse Bildung der Schülerinnen und Schüler und leistet damit einen integralen und unverzichtbaren Beitrag zum allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule. Er schließt an die Bildungspläne der allgemein bildenden Schulen an und trägt zu einer profilbezogenen Beruflichkeit bei. Er unterstützt einen verantwortungsvollen Umgang mit Medien und setzt digitale Medien als Lernwerkzeuge ein. Der evangelische Religionsunterricht greift die zunehmende Heterogenität der Schülerinnen und Schüler auf und verhilft dazu, die damit verbundenen Potenziale konstruktiv zu nutzen. Dadurch leistet er einen Beitrag zur gesellschaftlichen und beruflichen Integration der Schülerinnen und Schüler.
Der evangelische Religionsunterricht ist nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und nach Art. 18 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach, das von Staat und Kirche gemeinsam verantwortet wird. Er wird erteilt „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen“ der Evangelischen Landeskirche in Baden und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Aufgaben und Ziele des evangelischen Religionsunterrichts
Der evangelische Religionsunterricht hilft die religiöse Dimension des Lebens zu erschließen. Er eröffnet einen spezifischen Modus der Weltbegegnung und leistet so einen integralen und unverzichtbaren Beitrag zum allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule. Soziales, politisches und kulturelles Leben in Deutschland, Europa und der Welt lässt sich ohne Kenntnis seiner religiösen Wurzeln nicht angemessen verstehen. Angesichts der Globalisierung und der multikulturellen Lebenszusammenhänge wird religiöse Bildung für die Suche von Jugendlichen nach Identität und Orientierung immer wichtiger.
Der evangelische Religionsunterricht richtet sich an Schülerinnen und Schüler evangelischer Konfession und ist darüber hinaus offen für alle Schülerinnen und Schüler mit und ohne Religionszugehörigkeit. Grundlage des Unterrichts bilden die biblisch bezeugte Geschichte Gottes mit den Menschen und ihre Deutung in den reformatorischen Bekenntnissen der Evangelischen Landeskirche in Baden und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Der evangelische Religionsunterricht bringt den christlichen Glauben und seine Traditionen ins Gespräch und unterstützt die Heranwachsenden dabei, den Glauben als Möglichkeit zu entdecken, die Wirklichkeit zu deuten und ihr Leben zu gestalten. Der evangelische Religionsunterricht bietet Jugendlichen Unterstützung und Begleitung bei ihrer Suche nach Identität und Lebenssinn. Sie erwerben so Kompetenzen religiöser Bildung. Im Mittelpunkt stehen existentielle Fragen der Schülerinnen und Schüler, die über den eigenen Lebensentwurf, die eigene Deutung von Wirklichkeit und über individuelle Handlungsoptionen entscheiden. Die Schülerinnen und Schüler eignen sich in diesem Zusammenhang im Unterricht Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen an, die es ermöglichen, fremde Überzeugungen zu verstehen und zugleich zu eigenen Auffassungen zu gelangen. In dem Spannungsfeld von Identität und Verständigung entwickeln sie so Perspektiven und Handlungsoptionen, die für einen sachgemäßen und dialogischen Umgang mit der eigenen Religiosität und mit anderen Religionen und Weltanschauungen in einer pluralistischen Gesellschaft notwendig sind. Damit trägt der evangelische Religionsunterricht mit dazu bei, Jugendliche auf ein Leben in einer sich dynamisch wandelnden, pluralistisch und demokratisch verfassten Gesellschaft vorzubereiten.
Der Glaube selbst entzieht sich einer Überprüfung. Er kann deshalb zwar Gegenstand des Unterrichts, darf aber nicht Maßstab für die Leistungsbewertung oder Leistungsbeurteilung sein.
Der evangelische Religionsunterricht
- fördert die Fähigkeit, die Vielgestaltigkeit von Wirklichkeit wahrzunehmen und zu reflektieren und christliche Deutungen der Wirklichkeit mit anderen zu vergleichen.
- unterstützt die Entwicklung religiöser Sprach- und Gestaltungsfähigkeit und übt elementare Formen theologischen Denkens und Argumentierens ein.
- bietet altersgemäße Zugänge zur biblisch-christlichen Tradition und befähigt die Jugendlichen zum Verständnis biblischer Texte.
- thematisiert die Wahrheitsfrage und enthält sich angesichts der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis letzter Urteile über Menschen.
- fördert die Bereitschaft und die Fähigkeit, andere Auffassungen zu verstehen, Einstellungen zu erfragen und miteinander ins Gespräch zu bringen.
- fördert die Fähigkeit, ethische Fragestellungen zu identifizieren, zu analysieren und aus christlicher Perspektive Handlungsalternativen aufzuzeigen, Lösungsvorschläge zu beurteilen und ein eigenes Urteil zu begründen, um auf dieser Grundlage verantwortlich zu handeln.
- nimmt Jugendliche als Mitgestalterinnen und Mitgestalter ihrer Lebenswelt ernst und stärkt die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft.
- stärkt die soziale Kompetenz als Fähigkeit, mit anderen rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst umzugehen, für andere, insbesondere für Schwache einzutreten, Konfliktlösungen zu suchen, gemeinsame Vorhaben zu entwickeln, durchzuführen und zu beurteilen.
- stärkt die ästhetische Kompetenz, Wirklichkeit sensibel wahrzunehmen und selbst kreativ tätig zu werden (zum Beispiel in den Bereichen Musik, Bildende Kunst, Literatur, Spiel, Tanz, Film, digitale Medien).
- fördert die Sprach-, Toleranz- und Dialogfähigkeit der Jugendlichen und leistet dadurch einen Beitrag zur Verständigung in der pluralen Gesellschaft. „Ein konstruktiver Umgang mit Pluralität kann weder in einer Gleichgültigkeit gegenüber allen Unterschieden bestehen noch in einem Rückzug von der Pluralität dadurch, dass nur noch die eigene Wahrheit gesehen wird“ (Religiöse Orientierung gewinnen, EKD 2014, S. 60).
- beteiligt sich an der Gestaltung der Schule als Lebens- und Erfahrungsraum, insbesondere durch die Mitgestaltung von Festen, Feiern und Gottesdiensten.
- beteiligt sich an der Öffnung zum Gemeinwesen, zu Kirchengemeinden, diakonischen Einrichtungen und anderen außerschulischen Partnern.
- hat eine seelsorgerlich-diakonische Dimension und wird durch Schulseelsorge ergänzt.
- trägt zu einer profilierten Schulentwicklung bei.
Der evangelische Religionsunterricht verhilft zu einer positiven Wahrnehmung von Heterogenität. Im Sinne der Inklusion bestärkt er Jugendliche, sich selbst und andere als Gottes geliebte Geschöpfe mit individuellen Stärken und Schwächen anzunehmen und im Blick auf gemeinsame Aufgaben Verantwortung für sich und die Gemeinschaft zu übernehmen.
Die fachliche, didaktische und personale Kompetenz der Lehrperson sind wichtige Faktoren für den evangelischen Religionsunterricht. Der evangelische Religionsunterricht ist offen für die fachübergreifende und Fächer verbindende Vernetzung von Fragestellungen und Methoden sowie Kooperationen mit dem katholischen Religionsunterricht und anderen Fächern. Dafür kann auf die Schrift „Konfessionell-kooperativ erteilter Religionsunterricht. Grundlagen, Standards und Zielsetzungen“ (EKD-Texte 128, Februar 2018) verwiesen werden. Wo immer sich Möglichkeiten eröffnen, nimmt der evangelische Religionsunterricht als pluralitätsfähiges Fach Chancen interreligiösen Lernens wahr.
2. Fachliche Aussagen zum Kompetenzerwerb, prozessbezogene Kompetenzen
Der evangelische Religionsunterricht fördert den Erwerb und die Vertiefung religiöser Bildung. Er zielt auf überprüfbare Kompetenzen, wobei Glaube, Einstellungen und Haltungen der Schülerinnen und Schüler sich jeder Überprüfbarkeit entziehen.
Die Kompetenzen religiöser Bildung beinhalten die Fähigkeit, die Vielgestaltigkeit von Wirklichkeit wahrzunehmen und theologisch zu reflektieren, christliche Deutungen mit anderen zu vergleichen, die Wahrheitsfrage zu stellen und eine eigene Position zu vertreten sowie sich in Freiheit auf religiöse Ausdrucks- und Sprachformen (zum Beispiel Symbole und Rituale) einzulassen und sie mitzugestalten.
Im Sinne der Lebensbegleitung und Identitätsentwicklung sind in besonderer Weise personale und soziale Kompetenzen in den Blick zu nehmen.
Die prozessbezogenen Kompetenzen im Fach Evangelische Religionslehre sind in Anlehnung an die „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Evangelische Religionslehre“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i. d. F. vom 16.11.2006, S. 8 – 9) formuliert und werden langfristig erworben. Ein weiterer Referenztext ist die Veröffentlichung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): „Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe. Themen und Inhalte für die Entwicklung von Kompetenzen religiöser Bildung“ (EKD-Texte 109, April 2010).
Zu den prozessbezogenen Kompetenzen zählen
- Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler nehmen religiös bedeutsame Phänomene wahr und beschreiben sie.
- Deutungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler verstehen und deuten religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse.
- Urteilsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler urteilen in religiösen und ethischen Fragen begründet.
- Dialogfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler nehmen am religiösen Dialog argumentierend teil.
- Gestaltungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler verwenden religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen reflektiert.
3. Ergänzende fachliche Hinweise
Der evangelische Religionsunterricht am Beruflichen Gymnasium der dreijährigen Aufbauform ermöglicht den Schülerinnen und Schülern eine Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen und Bildungsinhalten in existentieller und reflektierender Weise. Er trägt zur Erschließung gegenwärtiger religiöser und gesellschaftlicher Phänomene, ihrer geschichtlichen Herkunft und ihrer Perspektiven für die Zukunft bei. Von zentraler Bedeutung sind die Fragen und Anliegen der Schülerinnen und Schüler. Der evangelische Religionsunterricht lebt von der wechselseitigen Durchdringung der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und der für das Fach spezifischen Inhalte und Problemstellungen. Dies geschieht in altersgemäßer Weise. Anknüpfend an die in den allgemeinbildenden Schulen erworbenen Kompetenzen unterstützt der evangelische Religionsunterricht einen gelingenden Übergang in das Berufliche Gymnasium. Die Schülerinnen und Schüler erwerben im evangelischen Religionsunterricht eine erweiterte und vertiefte Bildung an komplexen Sachverhalten und Zusammenhängen zwischen Religion, Kultur, Geschichte, Naturwissenschaft und Gesellschaft. Er zielt auf die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Übernahme von sozialer Verantwortung und Bereitschaft zum Dialog. Dazu dienen Lernmethoden, die auf Selbsttätigkeit, Kreativität und Produktion ausgerichtet sind, sowie Methoden, die von der Anschauung abstrahieren und auf Begriffsbildung zielen.
Im Gefüge allgemeiner Bildung leistet der evangelische Religionsunterricht einen spezifischen Beitrag zur Erlangung der Hochschulreife. Dieser besteht durch den Bezug des Religionsunterrichts zur evangelischen Theologie im Erwerb wissenschaftspropädeutischer Wissens- und Reflexionsformen. Kennzeichnend für den evangelischen Religionsunterricht sind die hermeneutische Auseinandersetzung mit religiösen und nicht-religiösen Sichtweisen sowie die Bearbeitung unterschiedlicher Wahrheitsansprüche. Die diskursive Auseinandersetzung im evangelischen Religionsunterricht schärft die Fähigkeit zur Wahrnehmung und Empathie sowie zur Argumentation und selbstständigen Urteilsbildung in einer pluralen Gesellschaft. Die Auseinandersetzung der Theologie mit anderen Wissenschaftsdisziplinen (zum Beispiel Naturwissenschaften, Psychologie, Philosophie, Gesellschafts- und Sozialwissenschaften, Religionswissenschaft) eröffnet dem evangelischen Religionsunterricht eine interdisziplinäre Ausrichtung.
Die sieben Bildungsplaneinheiten entsprechen im Wesentlichen den sieben Bereichen der Bildungspläne der allgemein bildenden Schulen:
- Religion und Religiosität
- Mensch
- Bibel
- Gott
- Jesus Christus
- Welt und Verantwortung
- Kirche und Kirchen
Die Bildungsplaneinheiten der Eingangsklasse schaffen gemeinsame Voraussetzungen für die aus unterschiedlichen Schularten ins Berufliche Gymnasium kommenden Schülerinnen und Schüler. Sie legen zudem im Hinblick auf die Abiturprüfung Grundlagen für die Bildungsplaneinheiten der Jahrgangsstufen 1 und 2. Die Bildungsplaneinheiten der Jahrgangsstufen 1 und 2 sind verpflichtend für die Abiturprüfung. Es ist nicht zwingend notwendig, die Bildungsplaneinheiten und ihre Kompetenzen der Reihe nach abzuarbeiten, auch wenn diese einen logischen Progress abbilden bzw. Lernwege anbieten möchten. Vielmehr ist es Aufgabe des Unterrichts, Kompetenzen miteinander zu verbinden und zu verschränken, wiederholt didaktisch anzubieten, auch im Interesse der Nachhaltigkeit des Lernens. Auch können in entsprechenden didaktischen Arrangements Kompetenzen über die Jahrgangsstufen hinweg miteinander verbunden werden. Die didaktisierenden Fragen in der Hinweisspalte sollen die Lehrperson in einer offenen, kognitiv aktivierenden Weise in die inhaltliche Auseinandersetzung führen und den Kompetenzerwerb im Blick behalten. Ergänzend dazu finden sich hier mögliche Konkretisierungen, geeignete Bibelstellen und Verweise auf andere Bildungsplaneinheiten. Die Bildungsplaneinheiten des evangelischen und des katholischen Bildungsplans ähneln sich strukturell.
Hinweise zum Umgang mit dem Bildungsplan
Der Bildungsplan zeichnet sich durch eine Inhalts- und eine Kompetenzorientierung aus. In jeder Bildungsplaneinheit (BPE) werden in kursiver Schrift die übergeordneten Ziele beschrieben, die durch Zielformulierungen sowie Inhalts- und Hinweisspalte konkretisiert werden. In den Zielformulierungen werden die jeweiligen fachspezifischen Operatoren als Verben verwendet. Operatoren sind handlungsinitiierende Verben, die signalisieren, welche Tätigkeiten beim Bearbeiten von Aufgaben erwartet werden. Die für das jeweilige Fach relevanten Operatoren sowie deren fachspezifische Bedeutung sind jedem Bildungsplan im Anhang beigefügt. Durch die kompetenzorientierte Zielformulierung mittels dieser Operatoren wird das Anforderungsniveau bezüglich der Inhalte und der zu erwerbenden Kompetenzen definiert. Die formulierten Ziele und Inhalte sind verbindlich und damit prüfungsrelevant. Sie stellen die Regelanforderungen im jeweiligen Fach dar. Die Inhalte der Hinweisspalte sind unverbindliche Ergänzungen zur Inhaltsspalte und umfassen Beispiele, didaktische Hinweise und Querverweise auf andere Fächer bzw. BPE.
Der VIP-Bereich des Bildungsplans umfasst die Vertiefung, individualisiertes Lernen sowie Projektunterricht. Im Rahmen der hier zur Verfügung stehenden Stunden sollen die Schülerinnen und Schüler bestmöglich unterstützt und bei der Weiterentwicklung ihrer personalen und fachlichen Kompetenzen gefördert werden. Die Fachlehrerinnen und Fachlehrer nutzen diese Unterrichtszeit nach eigenen Schwerpunktsetzungen auf Basis der fächerspezifischen Besonderheiten und nach den Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Der Teil „Zeit für Leistungsfeststellung“ des Bildungsplans berücksichtigt die Zeit, die zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Leistungsfeststellungen zur Verfügung steht. Dies kann auch die notwendige Zeit für die gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen (GFS), Nachbesprechung zu Leistungsfeststellungen sowie Feedback-Gespräche umfassen.