Fachbezogene Vorbemerkungen
1. Fachspezifischer Bildungsauftrag (Bildungswert des Faches)
Die Bioinformatik als interdisziplinäre Wissenschaft löst Fragestellungen aus den Lebenswissenschaften mit theoretischen, computergestützten Methoden. Ein prominentes Beispiel für die Bedeutung dieser Disziplin ist ihr Anteil an der Sequenzierung des menschlichen Genoms. Auch bei aktuell stattfindenden und zukünftigen funktionellen Analysen von Genom-, Proteom- und Metabolomdaten sind bioinformatische Methoden unerlässlich. Die Bioinformatik leistet damit einen zentralen Beitrag zum Verständnis des Lebens und dem Selbstverständnis des Menschen.
Das Fach Bioinformatik gewährt den Schülerinnen und Schülern eine Orientierung bezüglich beruflicher Perspektiven im Bereich der Datenerhebung und Datenanalyse, vor allem in den Gesundheits- und Lebenswissenschaften als bedeutsamen Anwendungsbereichen einer Vielzahl informatischer Methoden. Die Bioinformatik ist somit eine wertvolle Ergänzung zu den naturwissenschaftlichen Profilfächern.
Der fächerübergreifende Unterricht ermöglicht den Schülerinnen und Schülern die englische Sprache als die „Wissenschaftssprache“ kennen zu lernen und durch deren regelmäßige Anwendung zu vertiefen. Der interdisziplinäre Charakter der Bioinformatik wird unter anderem auch durch die Querverweise zu den Bildungsplänen Biotechnologie, Chemie und Informatik als bedeutende wissenschaftliche Disziplin deutlich.
Die biologischen Fragestellungen und informationstechnischen Herausforderungen, die sich insbesondere durch das Vorhandensein großer Datenmengen ergeben, werden mithilfe bioinformatischer Methoden bearbeitet und letztendlich zielführende Antworten und Lösungen ermittelt. Zusammen mit dem Fach Informatik unterstützt das Fach damit die Entwicklung von digitalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler und bereitet sie auf eine zunehmend digitalisierte Lebens- und Arbeitswelt vor.
Die Auswahl der Themengebiete und die inhaltliche Gestaltung der Bildungsplaneinheiten berücksichtigt die biologischen und informationstechnischen Vorkenntnisse der Schülerinnen und Schüler mit einem mittleren Bildungsabschluss und ist mit der Zielsetzung erfolgt, eine Weiterentwicklung ihrer fachlichen und personalen Kompetenzen zu ermöglichen.
Die Schülerinnen und Schüler werden durch die Ausbildung von inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen über eine kompetenzorientierte Gestaltung des Unterrichts im Fach Bioinformatik befähigt, sich aktiv an gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussionen zu beteiligen.
2. Fachliche Aussagen zum Kompetenzerwerb, prozessbezogene Kompetenzen
Inhaltsbezogene Kompetenzen
Die inhaltsbezogenen Kompetenzen orientieren sich an aktuellen biologischen Fragestellungen, vor allem aus dem Bereich der Genomik, sowie deren Lösungen durch Einsatz (bio)informatischer Methoden. Im Einzelnen ist Fachwissen aus folgenden Themenkomplexen beinhaltet: digitale Plattformen und Programme zur Protokollierung und Auswertung naturwissenschaftlicher Daten, digitale Medien zur Darstellung und Präsentation abstrakter biologischer und chemischer Prozesse, Verwaltung und Auswertung biologischer Sequenzdaten und Entwicklung bioinformatischer Programme. Die Erarbeitung der fachlichen Inhalte erfolgt exemplarisch mit dem Ziel, die einzelnen Inhalte mit informatischen Grundsätzen und biologischen Prinzipien zu verknüpfen.
Die Schülerinnen und Schüler befassen sich im Unterricht der Eingangsklasse schwerpunktmäßig mit der rechnergestützten Protokollierung, Auswertung und Präsentation von Daten. Diese Daten stammen aus einem Praktikumsunterricht oder wurden bei der Durchführung von Experimenten im naturwissenschaftlichen Unterricht gesammelt. Zudem lernen die Schülerinnen und Schüler, mithilfe geeigneter Programme, Animationen und Lernvideos zu molekular- und zellbiologischen Vorgängen zu erstellen und deren Qualität zu bewerten. Sie sind darüber hinaus in der Lage, die Qualität der verwendeten Informationen und Quellen zu beurteilen. In der Summe haben die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, digitale Medien als Lernwerkzeuge und auch als Werkzeuge kooperativen Lernens für sich zu entdecken. Diese Art der Nutzung digitaler Medien im naturwissenschaftlichen Unterricht stellt als Kernkompetenz eine wichtige Grundlage für das spätere Berufsleben dar.
Der Unterricht in den Jahrgangsstufen 1 und 2 kann ohne Vorkenntnisse aus der Eingangsklasse erfolgen.
In der Jahrgangsstufe 1 steht die Analyse informationstragender Sequenzen verschiedener Arten von Biomolekülen im Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass solche Daten mittels international zugänglicher Datenbanken verwaltet und für eine Auswertung zur Verfügung gestellt werden. Sie können somit ihre Kompetenzen in Bezug auf das Entwickeln von zielgerichteten Abfragestrategien stärken. Des Weiteren bringen die Schülerinnen und Schüler bei der Analyse der ermittelten Datensätze ihre Englischkenntnisse ein und gelangen zu einem tieferen Verständnis der biologischen Grundlagen, die zur Beantwortung ihrer Ausgangsfragestellungen nötig sind. In der Anwendung der Methodik des Sequenzvergleichs lernen sie vor allem die Prinzipien der Mustererkennung kennen. Die Schülerinnen und Schüler können damit die Bedeutung einer systematischen Herangehensweise zur Lösung eines Problems in Form von Algorithmen einschätzen und als Kompetenz einsetzen.
Sequenzvergleiche liefern in der Jahrgangsstufe 2 Daten, die zur Rekonstruktion molekularer Stammbäume genutzt werden. Zur Beurteilung der erstellten phylogenetischen Modelle erarbeiten sich die Schülerinnen und Schüler Grundlagen der Evolutionstheorie und Taxonomie. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik verhilft den Schülerinnen und Schülern zu einer vertieften Reflexion über das Leben und das Selbstverständnis des Menschen. Zudem werden die innerhalb des Fachs Informatik vermittelten Grundkenntnisse der Programmierung in der Bioinformatik genutzt, um Anwendungsprogramme zu erstellen, die typische Probleme der Mustererkennung im Kontext der Sequenzanalyse lösen. Dazu entwickeln die Schülerinnen und Schüler schrittweise die entsprechenden Algorithmen und implementieren sie in Form von ablauffähigen Programmen.
Prozessbezogene Kompetenzen
Die Vermittlung der prozessbezogenen Kompetenzen erfolgt anhand der fachlichen Inhalte gemeinsam mit den inhaltsbezogenen Kompetenzen und setzt eine entsprechende fachdidaktische Unterrichtsgestaltung voraus.
Die Schülerinnen und Schüler strukturieren und vernetzen Daten, indem sie z. B. naturwissenschaftliche Versuchsbeschreibungen und -ergebnisse sammeln, dokumentieren und in eine digitale Plattform einbinden (BPE 1), indem sie Objekte für Animationen strukturiert anordnen und verknüpfen (BPE 3) und indem sie Beziehungen von Daten in Stammbaum-Hierarchien oder in taxonomischen Einordnungen erkennen und erläutern (BPE 10). Sie strukturieren und vernetzen Prozesse, indem sie z. B. dokumentierte Versuchsdaten in kausal begründeten Schritten auswerten (BPE 1 und 2), eine digitale Plattform als Schnittstelle für die arbeitsteilige Aufbereitung und Bewertung der Dokumentationen nutzen (BPE 1) und indem sie die nötigen Handlungsschritte bei der Erstellung und Auswertung von Sequenzvergleichen chronologisch und kausal ordnen (BPE 7, 8 und 9).
Die Schülerinnen und Schüler analysieren naturwissenschaftliche Problemstellungen und bereiten sie auf, indem sie z. B. für die Visualisierung abstrakter biologischer Prozesse relevante Informationen herausarbeiten (BPE 3) und indem sie Informationen zur Sequenzanalyse aus Datenbanken beschaffen und analysieren (BPE 6). Sie konzipieren und entwickeln Lösungen, indem sie z. B. Lösungsstrategien für das Erstellen von Sequenzalignments auswählen (BPE 8) und indem sie Sequenzdaten als informatische Modelle der Phylogenie von Lebewesen darstellen (BPE 10). Die Schülerinnen und Schüler implementieren, indem sie Algorithmen zur Sequenzanalyse in einer Programmiersprache codieren (BPE 11). Sie testen und reflektieren, indem sie z. B. erstellte Sequenzalignments (BPE 8) und modellierte Stammbäume (BPE 10) bewerten, sowie Fehler in der Implementierung systematisch aufspüren und beheben (BPE 11).
Die Schülerinnen und Schüler stellen Überlegungen, Lösungswege und Ergebnisse dar, indem sie z. B. fachspezifische Schreibweisen zur Darstellung biologischer Sequenzen (BPE 4) oder Programmcode (BPE 11) verwenden und indem sie Ergebnisse von Sequenzvergleichen als Alignments (BPE 8 und 9) und z. B. Phylogramme (BPE 10) unter Beachtung von Fachterminologie erläutern und strukturiert darstellen. Sie dokumentieren und kommentieren, indem sie vorhandenen Programmcode lesen und verstehen bzw. eigenen Programmcode kommentieren und dokumentieren (BPE 11). Sie arbeiten kooperativ, indem sie als Team ein digitales Laborjournal führen und die Daten arbeitsteilig aufbereiten, präsentieren und reflektieren (BPE 1). Die Schülerinnen und Schüler kommunizieren in der Gesellschaft, indem sie z. B. verantwortungsvoll mit eigenen und fremden personenbezogenen Daten umgehen und Sicherheitsaspekte bei ihrem Kommunikationsverhalten berücksichtigen (BPE 1).
Die Schülerinnen und Schüler analysieren und bewerten, indem sie z. B. unterschiedliche Lösungsansätze und Vorgehensweisen bei der Durchführung von Sequenzvergleichen (BPE 7), beim Erstellen von Sequenzalignments (BPE 8 und 9) und molekularen Stammbäumen (BPE 10) miteinander vergleichen und bewerten, daraus einen Optimierungsbedarf ermitteln und Lösungswege optimieren, indem sie Einsatzbereiche und Grenzen von Modellen erkennen (BPE 8, 9 und 10), indem die Schülerinnen und Schüler Auswirkungen von Computersystemen und informatischen Modellen auf Gesellschaft, Berufswelt und persönliches Lebensumfeld aus verschiedenen Perspektiven bewerten (BPE 1, 5 und 10) und indem sie im Zusammenhang mit einer digitalisierten Gesellschaft einen eigenen Standpunkt zu ethischen Fragen in der Informatik einnehmen und ihn argumentativ vertreten (BPE 1). (vgl. Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Berufliche Informatik der KMK i. d. F. vom 10.05.2007)
Hinweise zum Umgang mit dem Bildungsplan
Der Bildungsplan zeichnet sich durch eine Inhalts- und eine Kompetenzorientierung aus. In jeder Bildungsplaneinheit (BPE) werden in kursiver Schrift die übergeordneten Ziele beschrieben, die durch Zielformulierungen sowie Inhalts- und Hinweisspalte konkretisiert werden. In den Zielformulierungen werden die jeweiligen fachspezifischen Operatoren als Verben verwendet. Operatoren sind handlungsinitiierende Verben, die signalisieren, welche Tätigkeiten beim Bearbeiten von Aufgaben erwartet werden. Die für das jeweilige Fach relevanten Operatoren sowie deren fachspezifische Bedeutung sind jedem Bildungsplan im Anhang beigefügt. Durch die kompetenzorientierte Zielformulierung mittels dieser Operatoren wird das Anforderungsniveau bezüglich der Inhalte und der zu erwerbenden Kompetenzen definiert. Die formulierten Ziele und Inhalte sind verbindlich und damit prüfungsrelevant. Sie stellen die Regelanforderungen im jeweiligen Fach dar. Die Inhalte der Hinweisspalte sind unverbindliche Ergänzungen zur Inhaltsspalte und umfassen Beispiele, didaktische Hinweise und Querverweise auf andere Fächer bzw. BPE.
Der VIP-Bereich des Bildungsplans umfasst die Vertiefung, individualisiertes Lernen sowie Projektunterricht. Im Rahmen der hier zur Verfügung stehenden Stunden sollen die Schülerinnen und Schüler bestmöglich unterstützt und bei der Weiterentwicklung ihrer personalen und fachlichen Kompetenzen gefördert werden. Die Fachlehrerinnen und Fachlehrer nutzen diese Unterrichtszeit nach eigenen Schwerpunktsetzungen auf Basis der fächerspezifischen Besonderheiten und nach den Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Der Teil „Zeit für Leistungsfeststellung“ des Bildungsplans berücksichtigt die Zeit, die zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Leistungsfeststellungen zur Verfügung steht. Dies kann auch die notwendige Zeit für die gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen (GFS), Nachbesprechung zu Leistungsfeststellungen sowie Feedback-Gespräche umfassen.