Fachbezogene Vorbemerkungen
1. Zum Selbstverständnis der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien
Die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien – nach der Jerusalemer Urgemeinde die zweite städtische Gemeinde der frühen Christenheit – gehört zur Altorientalischen Kirchenfamilie. Zum Patriarchat von Antiochien gehören heute fünf Millionen Gläubige. Diese leben in folgenden Räumen: im alten Mesopotamien mit den Regionen Südosttürkei, Syrien, Irak, Libanon und Indien; seit einigen Jahrzehnten auch in West- und Mitteleuropa, in Nord- und Südamerika, in Australien und in den arabischen Emiraten. In der Bundesrepublik Deutschland leben etwa 120.000 syrisch-orthodoxe Christen, davon über 15.000 in Baden-Württemberg. Die syrisch-orthodoxe Erzdiözese in Deutschland hat einen Erzbischof. Diözesansitz ist das Kloster St. Jakob von Sarug in Warburg bei Kassel.
Die Amtssprache der syrisch-orthodoxen Kirche ist das Aramäische, die Muttersprache Jesu. In ihr liest sie das Alte und Neue Testament, die Werke der syrischen Kirchenväter und in ihr feiert sie bis heute ihre heilige Liturgie. Von daher sind Grundkenntnisse der aramäischen Sprache für die Schülerinnen und Schüler grundlegend. Die Unterrichtssprache ist allerdings Deutsch. Seit dem Schuljahr 1994/1995 ist das Fach Syrisch-Orthodoxe Religionslehre im Fächerkanon der allgemeinbildenden Schulen des Landes Baden-Württemberg fest verankert. Es leistet einen gewichtigen Beitrag zur religiösen Identitätswahrung und zur Integration in das gesellschaftliche Leben. Ab dem Schuljahr 2021/2022 wird erstmalig an den beruflichen Gymnasien Syrisch-Orthodoxe Religionslehre erteilt – einmalig in der Bundesrepublik Deutschland.
2. Rechtliche Grundlagen des Syrisch-Orthodoxen Religionsunterrichts
Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht ist nach Art. 7, Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und nach Art. 18 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach, für das Staat und Kirche gemeinsam Verantwortung tragen. Er wird gemäß dem Schulgesetz in Übereinstimmung mit den Lehren und Grundsätzen der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien erteilt (§ 96, Abs. 2 SchG).
3. Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht
Zentrale Aufgabe des Syrisch-Orthodoxen Religionsunterrichts ist die Einführung in das Leben mit Gott und der Kirche, die Förderung der Entwicklung der Getauften zu mündigen Christen und ihre Befähigung Verantwortung für Welt und Gesellschaft wahrzunehmen. Er hat Teil am schulischen Auftrag zu einer weltoffenen, humanen Bildung und zum interreligiösen Dialog. Überdies hat er einen wichtigen Beitrag zur Integration der in Deutschland geborenen wie für die als Flüchtlinge hinzugekommenen syrisch-orthodoxen Schülerinnen und Schüler zu leisten. Die Religionslehrer/-innen sind dazu in besonderer Weise befähigt, weil sie die Sprachen des Orients beherrschen.
Der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht verhilft den Schülerinnen und Schülern zur persönlichen, religiösen und kulturellen Identitätsfindung und ist Begleiter auf dem Weg zur Entwicklung einer Persönlichkeit mit Fähigkeiten wie Empathie, Toleranz und Nächstenliebe. Weitere Aufgaben sind die Hinführung zu einem bewussten Leben mit der Kirche, zu einer verständigen Mitfeier der heiligen Liturgie, zur Verinnerlichung eines christlich-humanen Ethos und im Blick auf die eigene Identität Kenntnis der Geschichte der syrisch-orthodoxen Kirche, der Lehren der Kirchenväter sowie der Geschichte der syrisch-aramäischen Ethnie mit ihren Höhen und Tiefen.
Praxis des Betens
Das Einüben des Betens sowie das Erlernen grundlegender Gebete hat im syrisch-orthodoxen Religionsunterricht eine hohe Bedeutung. Aus diesem Grund wird jede Religionsstunde mit einem Gebet in aramäischer Sprache eröffnet und abgeschlossen. Da das Aramäische die Sprache der Liturgie und des Betens ist, ist die Kenntnis der Muttersprache Jesu für den syrisch-orthodoxen Religionsunterricht grundlegend.
Klassenübergreifender Religionsunterricht
An manchen Schulen werden aufgrund der Schülerzahlen die Schülerinnen und Schüler klassenübergreifend unterrichtet. Auch für diese gilt: Die Vorgabe des Bildungsplans ist fundamental, die Kombination der Inhalte ist in das pädagogische Ermessen der Lehrkräfte gestellt.
Religionsunterricht und Schulkultur
Vom Syrisch-Orthodoxen Religionsunterricht gehen wichtige Impulse für die Schulkultur aus, zum Beispiel durch die Gestaltung von Gottesdiensten, Sozialprojekten und die Vermittlung von Regeln und Ritualen des Zusammenlebens. Eine besondere Rolle spielen dabei die Erziehung zu höflichem Verhalten sowie ein konstruktives Sozialverhalten.
In der Schule und in den gesellschaftlichen Raum hinein entfaltet der Syrisch-Orthodoxe Religionsunterricht seine Wirkung, indem er die Achtung der Menschenwürde, den Toleranzgedanken und das Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in der Weise thematisiert, dass es emotional angenommen wird und so die Reflexion über eigene Einstellungen und Verhaltensweisen steuert.
Religiöse Bildung als Beitrag zu einer humanen Gesellschaft
Religiöse Bildung leistet einen wichtigen Beitrag zu einer Humanisierung von Bildung und Gesellschaft. Dieser basiert auf der Tradition des prophetischen Einspruchs, auf den Visionen der Reich-Gottes-Botschaft vom wahren und erfüllten Leben und auf der Zusage der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen. Angesichts der im christlichen Menschenbild verankerten unverfügbaren Würde jedes Menschen hinterfragt der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht Denk- und Handlungsansätze, die diese Würde in Frage stellen, indem sie zum Beispiel den Menschen allein über seine Leistung definieren. Daher weiß sich der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht auch der Inklusion verpflichtet.
Kritisch befragt werden auch Erscheinungsformen missverstandener und missbrauchter Religion. Hier übernimmt der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht wichtige Aufklärungsarbeit. Er trägt dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler einen eigenen Standpunkt gegenüber anderen Menschen und Institutionen begründet vertreten können und bereit werden, Verantwortung für sich und in der Gesellschaft zu übernehmen.
Der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht ermöglicht Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Vergangenheit und die gegenwärtige kulturelle Situation zu verstehen und gewonnene Erkenntnisse in die Zukunftsgestaltung mit einzubringen. Dies gilt insbesondere für den Dialog der Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen, der gerade in dem von Heterogenität und Pluralität besonders gekennzeichneten Beruflichen Gymnasium eine große Herausforderung darstellt. Damit verpflichtet sich das Fach Syrisch-Orthodoxe Religionslehre, die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler umfassend und ganzheitlich zu fördern.
Religiöse Bildung im Kontext der Berufsbildung
Der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht fördert die religiöse Bildung der Schülerinnen und Schüler. Er leistet einen integralen, unverzichtbaren Beitrag zum allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, ist anschlussfähig an die Bildungspläne der Sekundarstufe I. Darüber hinaus bietet der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit ihre Begabungen und Fähigkeiten zu entdecken und berufliche Perspektiven im Kontext eines sinnerfüllten Lebens zu reflektieren. Insbesondere in der Jahrgangsstufe 2 thematisiert der Bildungsplan ganz explizit den Beitrag des Profilfachs sowie philosophischer und christlicher Ethik zur Lösung gegenwärtiger Herausforderungen. Auch durch die profilbezogene Berufsorientierung des Bildungsplans fördert der Religionsunterricht Schülerinnen und Schüler darin, religiöse und weltanschauliche Grundhaltungen in der Lebens- und Arbeitswelt zur Sprache zu bringen und den Herausforderungen einer globalen Wirtschafts- und Arbeitswelt kompetent zu begegnen.
4. Fachliche Aussagen zum Kompetenzerwerb, prozessbezogene Kompetenzen
Grundlage des im Bildungsplan verwendeten Kompetenzbegriffs ist die Definition von Eckhard Klieme und Franz Weinert, wie sie die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz verwenden. Dieser Bildungsbegriff definiert Kompetenzen „(…) als die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. Kompetenz ist nach diesem Verständnis eine Disposition, die Personen befähigt, bestimmte Arten von Problemen erfolgreich zu lösen, also konkrete Anforderungssituationen eines bestimmten Typs zu bewältigen.“ (Weinert 2001, S. 27 f.). Auch die Kompetenzformulierungen des Bildungsplans spiegeln dies wieder. Bezogen auf die jeweilige Jahrgangsstufe beschreiben sie, was Schülerinnen und Schüler wissen und können sollen. Der Religionsunterricht ist aber auch auf langfristige und nachhaltige Ziele und Fähigkeiten angelegt. Diese beziehen sich u. a. auf die Bildung der Persönlichkeit und den Umgang mit anderen, auf Verfahren der Gewinnung, Vernetzung und Sicherung von Wissen, auf Strategien zur eigenen Planung, Gestaltung und Reflexion von Lernprozessen, auf gestalterische Fähigkeiten sowie die Anwendung erworbenen Wissens und Könnens in Kommunikations- und Handlungssituationen. Auch die Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen und lebensrelevanten Themen der Schülerinnen und Schüler behalten ihren zentralen Stellenwert im Religionsunterricht. Im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen die Schülerinnen und Schüler, deren Leben gelingen soll. Deshalb spielen zusätzlich zur Förderung kognitiver Kompetenzen in der Auseinandersetzung mit den Bildungsplaneinheiten auch Formate ganzheitlichen Lernens zur Förderung der affektiven und emotionalen Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige Rolle. All das trägt zu Lernprozessen bei, die den Religionsunterricht kennzeichnen und der Förderung einer ganzheitlich verstandenen religiösen Kompetenz als spezifischer Fachkompetenz des Religionsunterrichts dienen.
In diesem Kontext werden die von der Kultusministerkonferenz (KMK) verbindlich vorgegebenen ganzheitlich orientierten prozessbezogenen Kompetenzen zum Erwerb religiöser Bildung relevant. Diese gliedern sich in fünf Kompetenzbereiche:
- Wahrnehmen und darstellen (religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben)
- Deuten (religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten)
- Urteilen (in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen)
- Kommunizieren (am religiösen und interreligiösen Dialog argumentierend teilnehmen) und
- Gestalten (religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen reflektiert verwenden)
Diese auf lebenslanges Lernen ausgerichteten Kompetenzen sind nicht an bestimmte Inhalte gebunden, werden aber aufbauend über alle Schuljahre hinweg in Anbindung an inhaltsbezogene Kompetenzen erworben. Neben den in den Bildungsplänen ausgewiesenen Kompetenzen weist der Bildungsplan für das Berufliche Gymnasium folgende übergeordneten Leitziele aus:
- Sicherstellung der allgemeinen Studierfähigkeit
- Erwerb von Kompetenzen an aktuellen Inhalten
- Vorbereitung auf das Leben in einer sich dynamisch wandelnden pluralistischen und demokratisch verfassten Gesellschaft
- Förderung des Umgangs mit Heterogenität
- Stärkung der gesellschaftlichen und beruflichen Integrationsleistung
- Nachhaltige Nutzung digitaler Medien
- Bezug zur beruflichen Wirklichkeit als Markenkern des Beruflichen Gymnasiums
5. Ergänzende fachliche Hinweise
Die sieben Bereiche dieses Bildungsplans entsprechen dem Bildungsplan der allgemein bildenden Schulen für das Fach Syrisch-Orthodoxe Religionslehre: Mensch, Welt und Verantwortung, Bibel, Gott, Jesus Christus, Kirche, Religion und Weltanschauungen. Der Bildungsplan für die Syrisch-Orthodoxe Religionslehre ist wie die Bildungspläne der anderen Fächer aufgebaut. Er verschränkt in der Eingangsklasse die Bereiche Mensch, Religion und Bibel, in der Jahrgangsstufe 1 Gott und Jesus Christus sowie in der Jahrgangsstufe 2 Welt und Verantwortung und Kirche. Die Aufteilung dieser Bereiche auf drei Jahrgänge berücksichtigt in besonderer Weise das Alter, den Entwicklungsstand und die Interessen der Schülerinnen und Schüler sowie fachwissenschaftliche Überlegungen. In der Eingangsklasse sind deshalb die für die Oberstufe grundlegenden inhaltsbezogenen Kompetenzen und die dazugehörenden Inhalte verortet. Die sichtbare Verbindung der Bereiche „Gott“ und „Jesus Christus“ in der Jahrgangsstufe 1 sowie „Welt und Verantwortung“ und „Kirche“ in der Jahrgangsstufe 2 intendiert ein Denken in Zusammenhängen, die Vernetzung von Inhalten und eine vertiefte Auseinandersetzung mit den übergreifenden Zielen und Kompetenzen des Bildungsplans.
Der syrisch-orthodoxe Religionsunterricht beteiligt sich an Fächer verbindenden Projekten und nutzt insbesondere die vielfältigen Möglichkeiten konfessionell-kooperativer Zusammenarbeit. Außerunterrichtliche Angebote, wie Tage der Orientierung, können den Unterricht sinnvoll ergänzen.
Hinweise zum Umgang mit dem Bildungsplan
Der Bildungsplan zeichnet sich durch eine Inhalts- und Kompetenzorientierung aus. In jeder Bildungsplaneinheit (BPE) werden in kursiver Schrift die übergeordneten Ziele beschrieben, die durch Zielformulierungen sowie Inhalts- und Hinweisspalte konkretisiert werden. In den Zielformulierungen werden die jeweiligen fachspezifischen Operatoren als Verben verwendet. Operatoren sind handlungsinitiierende Verben, die signalisieren, welche Tätigkeiten beim Bearbeiten von Aufgaben erwartet werden. Die für das jeweilige Fach relevanten Operatoren sowie deren fachspezifische Bedeutung sind jedem Bildungsplan im Anhang beigefügt. Durch die kompetenzorientierte Zielformulierung mittels dieser Operatoren wird das Anforderungsniveau bezüglich der Inhalte und der zu erwerbenden Kompetenzen definiert. Die formulierten Ziele und Inhalte sind verbindlich und damit prüfungsrelevant. Sie stellen die Regelanforderungen im jeweiligen Fach dar. Die Inhalte der Hinweisspalte sind unverbindliche Ergänzungen zur Inhaltsspalte und umfassen Beispiele, didaktische Hinweise und Querverweise auf andere Fächer bzw. BPE.
Der VIP-Bereich des Bildungsplans umfasst die Vertiefung, individualisiertes Lernen sowie Projektunterricht. Im Rahmen der hier zur Verfügung stehenden Stunden sollen die Schülerinnen und Schüler bestmöglich unterstützt und bei der Weiterentwicklung ihrer personalen und fachlichen Kompetenzen gefördert werden. Die Fachlehrerinnen und Fachlehrer nutzen diese Unterrichtszeit nach eigenen Schwerpunktsetzungen auf Basis der fächerspezifischen Besonderheiten und nach den Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Der Teil „Zeit für Leistungsfeststellung“ des Bildungsplans berücksichtigt die Zeit, die zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Leistungsfeststellungen zur Verfügung steht. Dies kann auch die notwendige Zeit für die Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen (GFS), Nachbesprechung zu Leistungsfeststellungen sowie Feedback-Gespräche umfassen.